die Ampelkoalition hat jüngst Erleichterungen im Baurecht auf den Weg gebracht, damit Ställe artgerecht umgebaut werden können. Anfang Oktober treten die neuen Rechtsgrundlagen voraussichtlich in Kraft. Reihenweise “Tierwohl”-Ställe werden trotzdem nicht gebaut, erläutert Peter Spandau von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen im Interview.
In fast allen Kornkammern der Welt drohen Einbußen, die in der Summe die globale Versorgung gefährden könnten. Am größten erscheint derzeit die Misere in Indien, dem zweitgrößten Weizenproduzenten der Welt, schreibt Agrarmarktanalyst Steffen Bach vom Börsenhändler Kaack Terminhandel.
Am vergangenen Sonntag ist die Penny-Aktion zu “wahren Preisen” zu Ende gegangen. Wir haben mit dem Hauptgeschäftsführer des Markenverbands, Christian Köhler, gesprochen, der die Kampagne scharf kritisiert.
Gestatten Sie uns bitte noch einen Glückwunsch in eigener Sache: Heute Morgen um sechs Uhr ist bei Table.Media die 500. Ausgabe des Europe.Table erschienen. Fünfhundert Briefings, vollgepackt mit News zur europäischen Politik in Brüssel und tiefgründigen Analysen der EU-Gesetze und -Verordnungen. An (fast) jedem Werktag seit dem 3. August 2021 liefert das Team um Till Hoppe Aktualität, Relevanz und journalistische Qualität. Hier geht’s zum kostenfreien Test.

Herr Spandau, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich auf die Fahne geschrieben, die Agrarwende im Stall voranzutreiben. Wie bewerten Sie die neue Rechtsgrundlage, die dafür sorgen soll, dass Schweinehaltende endlich ihre Ställe umbauen und Tiere besser gehalten werden können?
Die Absicht des Ministers und das allgemeine Bekenntnis der Bundesregierung, gehobenere Standards in der Tierhaltung zu fördern, finde ich grundsätzlich völlig richtig. Allerdings rechne ich nach gründlicher Analyse und langjähriger Erfahrung in allen rechtlichen Fragen rund um die Tierhaltung mit Schwerpunkt Schweineproduktion nicht damit, dass Schweinehalter aufgrund der neuen Rechtslage nun reihenweise “Tierwohl”-Ställe bauen werden.
Die Branche klagt seit Langem über unüberwindbare Hürden bei der Genehmigung neuer Ställe und fehlende Möglichkeiten, alte Ställe in moderne Anlagen umzubauen. Eine baurechtliche Privilegierung von “Tierwohl”-Ställen soll das jetzt ändern. Warum zweifeln Sie?
Als Laie könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass jeder Schweinehalter nun einen modernen tierwohlgerechten Stall bauen kann, vorausgesetzt die Kriterien des staatlichen Tierhaltungskennzeichens für die Haltungsstufen “Auslauf”, “Frischluft/Weide” oder “Bio” sind erfüllt. Zwar hängt die Bundesregierung die Einigung auf eine vermeintliche Transformation der Tierhaltung hoch auf, aber die Wirkung in der Praxis ist eben gering.

Wie viele Schweinemäster und Schweinemästerinnen profitieren denn von der Änderung des BauGB?
Ohne zu tief in das Genehmigungsrecht von Bauvorhaben einzusteigen: Die Novelle privilegiert jetzt wieder gewerbliche Schweineställe, also solche, die über keine ausreichende Futtergrundlage verfügen, ab einer Größenordnung von 1.500 Mast- bzw. 560 Sauenplätzen, allerdings nur bei der Umsetzung von Tierwohlmaßnahmen ohne Bestandsaufstockung. Kleinere Schweinehaltungen grundsätzlich und größere mit ausreichender Futterfläche waren auch ohne diese Gesetzesänderung immer in der Lage diesen Schritt zu gehen. Die so getroffenen, gewerblichen Anlagen ab den genannten Größenordnungen sind bundesweit nur eine Minderheit.
Rund 80 Prozent dieser betroffenen Betriebe liegen in den intensiven Veredelungsregionen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Im Regierungsbezirk Münster, der auch als Hochburg der Schweinehaltung bekannt ist, profitieren z. B. geschätzt lediglich 15 Prozent aller Schweinemäster.
Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?
Für den weitaus überwiegenden Teil aller Schweinehalter und Schweinehalterinnen war auch bisher das Baurecht keine Hürde, neue Tierwohlställe zu bauen bzw. ihre vorhandenen Ställe zu Tierwohlställen umzubauen. Die Schlussfolgerung daraus ist also offensichtlich: Es muss neben den wirtschaftlichen Aspekten andere rechtliche Hindernisse geben, die bislang verhindern, dass der Einstieg in die Haltung nach vorgegebenen Tierwohlkriterien stockt.
Wo sehen denn die Fachleute diese rechtlichen Hürden?
Entscheidend ist das über die Jahre immer strenger gewordene Umweltrecht und hier in ganz besonderem Maße der Immissionsschutz. Das betrifft zum einen den Schutz der Nachbarn von Tierhaltungsanlagen vor Gerüchen und zum anderen den Schutz von stickstoffempfindlichen Biotopen vor Ammoniak. Dies führte dazu, dass die Anforderungen an die Lüftung klassischer Schweineställe immer weiter stiegen. Dies ist z. B. an den hohen Abluftkaminen auf diesen Ställen erkennbar.
Bei typischen Tierwohlställen mit Außenklima oder sogar Auslauf ist ein großer Teil dieser technischen Minderungsmaßnahmen aber nicht umsetzbar. Zudem produzieren diese Ställe zwar nicht unbedingt mehr Emissionen, haben aber ein schlechteres Ableitungsverhalten, da der Verdünnungseffekt in höheren Luftschichten nicht umsetzbar ist. Also scheitern viele geplante Bau- bzw. Umbauvorhaben für Tierwohl gar nicht am jetzt geänderten Baurecht, sondern am Immissionsschutzrecht.
Um Konflikte mit dem Umweltrecht zu lösen, wurde die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) aber geändert. Wer die Kriterien des staatlichen Tierhaltungskennzeichens für die Haltungsstufen “Auslauf”, “Frischluft/Weide” oder “Bio” erfüllt, wird auch im Umweltrecht privilegiert. Bringt das nichts?
Die TA Luft kennt sogenannte Schutz- und Vorsorgeanforderungen. Die Schutzanforderungen – diese betreffen im Wesentlichen die Mindestabstände zu Wohnbebauung und Biotopen – müssen unabhängig von der Stallkapazität alle Tierhaltungsanlagen erfüllen. Die Vorsorgeanforderungen, die über die Schutzanforderungen hinausgehen und daher zusätzliche Sicherheit geben sollen, gelten hingegen nur für Anlagen, die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu genehmigen sind. Dies sind in der Schweinehaltung alle Anlagen mit den vorne bereits genannten Tierplatzzahlen.
Bei den Vorsorgeanforderungen haben sich bei der letzten Novelle der TA-Luft deutliche Verschärfungen für Tierhaltungsanlagen ergeben, die auch auf Bestandsanlagen wirken. Genau hier wurden auch die Erleichterungen für Tierwohlstallungen eingefügt. Bei den Schutzanforderungen gibt es diese Erleichterungen nicht. Es wäre für einen Anwohner auch kaum nachvollziehbar, dass er, nur weil der benachbarte Schweinestall mehr Tierwohl macht, ein höheres Maß an Gerüchen ertragen muss als eigentlich vorgesehen. Im Klartext: Bei den meisten Vorhaben zu Tierwohl haben die vermeintlichen Erleichterungen in der TA-Luft keinen Nutzen.
Die Bundesregierung hat im Baurecht festgelegt, dass umgebaut werden darf, ohne die Tierzahl minimieren zu müssen …
Das stimmt, aber das ist eben nur das Baurecht. Und die damit verbundenen Aussage lässt sich auch politisch gut verkaufen. Das dicke Ende kommt dann im Genehmigungsverfahren. Ich gehe davon aus, dass der überwiegende Teil geplanter Bau- bzw. Umbauvorhaben für mehr Tierwohl in der Schweinehaltung aus immissionsschutzrechtlichen Gründen nur umsetzbar ist, wenn im Unternehmen die Tierplatzzahlen reduziert werden.
Vor diesem Hintergrund wird es sich ein Schweinemäster zweimal überlegen, auf Tierwohl umzustellen. Denn neben den höheren Kosten für die Mast der Schweine unter Tierwohlbedingungen schlägt wirtschaftlich noch der entgangene Gewinn durch die Reduzierung des Tierbestandes zu Buche.
Dafür gibt es doch finanzielle Förderung im Rahmen der Tierwohlmilliarde …
Das stimmt. Zum einen gibt es hier aber nur einen degressiv gestaffelten Investitionskostenzuschuss zwischen 50 Prozent und 60 Prozent für notwendige Baumaßnahmen und keine Kompensation von Einkommensverlusten. Zum anderen einen ebenfalls degressiv gestaffelten Zuschuss zwischen 70 Prozent und 80 Prozent zu den laufenden Mehrkosten für 10 Jahre. Dieser ist jedoch auf max. 6.000 verkaufte Mastschweine gedeckelt. Die fehlende Kompensation aller Mehrkosten müsste also über einen höheren Verkaufserlös kommen. Dass dies dauerhaft passieren wird, glauben jedoch die wenigsten Schweinehalter.
Warum nicht?
Erstens sinkt der Konsum von Schweinefleisch. Schrumpft der Verzehr in den kommenden Jahren wie bisher, liegen wir im Jahr 2040 (Mindestzeitraum der Amortisation von heutigen Investitionen in die Schweinehaltung) bei einem pro Kopf-Verbrauch von nur noch 18 Kilogramm. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 waren es noch 40 Kilogramm pro Kopf. Es würde also in einen schrumpfenden Markt hinein investiert werden.
Hinzukommt, dass der Schweinefleischverzehr tendenziell in mittleren und einkommensschwachen Haushalten stattfindet. Diese werden für Tierwohl kaum tiefer in die Geldbörse greifen.
Und zuletzt werden diese Schweine im Export keinen adäquaten Preis erzielen können, da im globalen Schweinefleischmarkt Tierwohl praktisch keine Rolle spielt.
Auf welches Zukunftsszenario muss die Branche sich einstellen?
In der Schere von steigenden Produktionskosten auf der einen Seite und rückläufigem Verzehr, sowie sinkenden Exportchancen auf der anderen Seite wird der Markt für deutsches Schweinefleisch nachhaltig schrumpfen. Hohe Tierwohlstandards werden hier kein Ausweg sein, sondern auch weiterhin lediglich einen (kleinen) Teilmarkt bedienen. Meiner Ansicht nach müssen Schweinehalter in Deutschland schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, dass der schon seit etwa 2015 laufende Schrumpfungsprozess der deutschen Schweinehaltung keine Trendwende mehr erleben wird.
Aber der Strukturwandel begleitet die Branche nicht erst seit Amtsantritt von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Während der strukturierte Umbau der Tierhaltung unter Führung der Großen Koalition immer wieder aufgeschoben wurde, gibt es jetzt immerhin einen klaren rechtlichen Rahmen …
Ob der rechtliche Rahmen wirklich klar ist, wage ich zu bezweifeln. Was jedoch zuallererst fehlt, ist eine klares und ehrliches Bekenntnis der Politik zu ihren Zielvorstellungen. Man kann nicht einerseits die Landwirtschaft animieren, weiterhin in die Fleischerzeugung zu investieren und auf der anderen Seite dem Vegetarismus das Wort reden.
Können Mäster ihr Standbein nicht in anderen Bundesländern in ländlichen Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte aufbauen?
Nein, zum einen löst das nicht das grundsätzliche Problem des schrumpfenden Marktes, zum anderen müsste dort eine entsprechende Infrastruktur erst aufgebaut werden. Außerdem hat die Erfahrung gezeigt, dass in den Regionen, wo kein Vieh steht, die Gegenwehr der Bürger gegen Stallbauten am größten ist.
Die Grünen wollten ursprünglich, dass in Deutschland zum Schutz des Klimas weniger Tiere gehalten werden und sie wollen regionale Schlachtstrukturen wieder aufbauen. Haben sie mit dieser Rechtsgrundlage den Weg dafür geebnet?
Zurzeit wird dieser Weg eher durch verschlepptes Handeln geebnet.
Bis vor einigen Monaten schien die globale Weizenversorgung für das Wirtschaftsjahr 2023/24 gesichert. Trotz des Krieges in der Ukraine lief der Export aus Russland und der Ukraine weitgehend reibungslos. Die Kurse an den Börsen befanden sich monatelang in einem Sinkflug, bis sie Ende Mai bis auf den tiefsten Stand seit dem Sommer 2021 fielen. Inzwischen hat sich die Lage gewandelt. Die zivile Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer ist immer stärker durch Kriegshandlungen bedroht, was Reedereien veranlassen könnte, den Getreidetransport aus Russland einzustellen. Doch auch jenseits des Krieges in der Ukraine mehren sich auf dem Weizenmarkt die Warnsignale.
In fast allen Kornkammern der Welt drohen Einbußen, die in der Summe die globale Versorgung gefährden könnten. Am größten erscheint derzeit die Misere in Indien, dem zweitgrößten Weizenproduzenten der Welt. Eine Hitzewelle im März und April schädigte die Weizenernte. Die Regierung hält dennoch daran fest, dass eine Rekordernte von 113 Millionen Tonnen Weizen geerntet worden sei. Private Agrarhändler halten 100 Millionen Tonnen für realistisch. Das wäre das schlechteste Ergebnis seit vier Jahren und läge deutlich unter dem Verbrauch von 108 Millionen Tonnen. Für dieses Szenario spricht, dass in der indischen Regierung über eine Senkung oder Abschaffung der Importzölle auf Weizen diskutiert wird. Außerdem wurde bereits ein Exportstopp für fast alle Reis-Sorten verhängt. Dies bereitet vielen traditionellen Abnehmern in Asien und Afrika große Sorgen, denn mit rund 10 Millionen Tonnen ist Indien der größte Reis-Exporteur der Welt (24 Prozent des Welthandels).
Das offensichtliche Versorgungsdefizit mit Weizen in Indien lässt sich nur durch Importe ausgleichen. Medienberichte, nach denen Indien beabsichtige bis zu 9 Millionen Tonnen Weizen aus Russland zu importieren, wurden zwar offiziell dementiert. Ohne Einfuhren in einer Größenordnung von 5 bis 10 Millionen Tonnen wird es aber kaum gehen. Indien würde damit zu einem der wichtigsten Weizenkäufer auf dem Weltmarkt. Die nationalen Weizenreserven in Indien in Höhe von 9,5 Millionen Tonnen reichen nur noch aus, um den Bedarf für gut einen Monat zu decken. Seit 15 Jahren war das Weizenpolster in Indien nicht mehr so klein.
Doch auch in anderen Regionen gibt es Probleme:
In der Europäischen Union und in Kanada müssen die ursprünglichen Ertragsprognosen nach unten korrigiert werden. In China hat der Regen während der Ernte dazu geführt, dass viel Weizen nicht mehr als Lebensmittel verwendet werden kann, sondern in den Futtertrog wandert. Dies könnte China dazu zwingen, mehr hohe Weizenqualitäten zu importieren. In weiten Teilen Europas verregnet der Weizen auf den Feldern. Wie stark die Qualitätseinbußen sind, muss abgewartet werden. Dass guter Backweizen mit hohen Proteinwerten und Fallzahlen knapp und teuer sein wird, erscheint aber schon heute sehr wahrscheinlich.
Probleme drohen auch auf der Südhalbkugel. In Australien wird die Produktion nach einer letztjährigen Rekordernte von 40 Millionen Tonnen in diesem Jahr einbrechen. Das Land profitierte in 2022 vom La-Niña-Phänomen, das überdurchschnittliche Niederschläge auf den Fünften Kontinent gebracht hat. Nun hat sich die Lage gewandelt und das Gegenstück El Niño macht aus Australien einen trockenen Backofen. Dies ließ die Weizenproduktion beim letzten El Niño in 2020 bis auf 14,5 Millionen Tonnen einbrechen. Die aktuelle Prognose des US-Agrarministeriums liegt für Australien bei 29 Millionen Tonnen. Das entspricht einer Menge, die man als ambitioniert bezeichnen kann.
Umgekehrt ist die Situation in Argentinien, wo La-Niña im vergangenen Jahr die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten ausgelöst hat. Für die Aussaat zur Ernte 2024 kamen die Niederschläge im Juni und Juli erst zu spät und dann zu heftig, sodass die Weizenfläche in Argentinien kleiner ausfiel als geplant. Die Weizenproduktion wird sich zwar erholen, eine durchschnittliche Ernte erscheint nach dem schwierigen Start aber kaum noch möglich. In Gefahr gerät auch die nächste Ernte in Indien, denn El Niño sorgte auf dem Subkontinent in der Vergangenheit für höhere Temperaturen und geringere Niederschläge. Indien könnte so auch in 2024, also für ein weiteres Jahr, auf Weizenimporte angewiesen sein.
Im ungünstigsten Fall könnte durch die kleineren Ernten in Indien, der EU, China, den USA, Kanada, Australien und Argentinien die globale Bilanz gegenüber den Prognosen aus dem Frühsommer um über 20 Millionen Tonnen kleiner ausfallen. Vor allem bei guten Qualitäten, die für die Herstellung von Brot und Nudeln benötigt werden, drohen Engpässe. Unter den steigenden Preisen leiden vor allem die Länder mit einer wenig kaufkräftigen Bevölkerung. In den vergangenen Jahren haben steigende Weizen- und Brotpreise politischen Unruhen ausgelöst, Regierungen gestürzt und Staaten destabilisiert. Umso wichtiger wäre es jetzt, dass die internationale Gemeinschaft sich für eine Fortsetzung des Getreideabkommens am Schwarzen Meer einsetzt und vorbeugende Maßnahmen zur Versorgung der ärmsten Länder ergreift.

Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?
Wenn die Agrarpolitik das Ziel des Europäischen Green Deals, bis 2050 der erste klimaneutrale und gleichwohl global wettbewerbsfähige Kontinent zu werden, ernst nimmt, braucht es jetzt einen Innovations-Wumms. Ein wesentlicher Schlüssel liegt in neuen Technologien: moderne Züchtungsmethoden, digitale Präzisionslandwirtschaft, aber auch biologischer Pflanzenschutz oder klimaneutrale Mineraldünger. Hier muss die Politik Neues fördern und rasche Markteinführung möglich machen.
Wie wird sich die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach bis 2050 verändern?
Entgegen landläufiger Klischees ist die Landwirtschaft seit jeher eine enorm innovative Branche. Zur Stunde werden viele neue Technologien praxisreif. Wenn wir offen und positiv mit diesen Technologien umgehen, bin ich sicher, dass wir bis 2050 in Deutschland und Europa eine leistungsfähige und nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft haben werden.
Für wie wichtig halten Sie Bio?
Landwirtschaft ist vielfältig, und Bio hat in dieser Vielfalt einen festen Platz. Was sich in der Bio-Praxis bewährt hat, gibt auch für konventionell wirtschaftende Betriebe wichtige Impulse. Allerdings wird der ökologische Landbau allein den wachsenden Bedarf an Agrarrohstoffen mit seinen erheblich geringeren Flächenerträgen nicht bedienen können.
Frank Gemmer ist seit Juli 2020 Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar e. V. (IVA). Er hatte zuvor verschiedene Führungspositionen im Agribusiness inne; zuletzt verantwortete er das Deutschlandgeschäft von Adama. Im Nebenerwerb bewirtschaftet er einen Familienbetrieb in Rheinland-Pfalz mit 40 ha Ackerbau.
Die spanische Ratspräsidentschaft erarbeitet bis zum 15. September einen neuen Kompromissvorschlag zur EU-Verpackungsverordnung. Bis letzte Woche hat sie Stellungnahmen der Mitgliedstaaten zu einem Arbeitspapier gesammelt, in dem sie einige neue Wege zu einer möglichen Einigung aufzeigt. Das von der französischen Medienplattform Contexte veröffentlichte Papier wurde am 14. Juli bereits in einer Arbeitsgruppe diskutiert.
Demnach schlägt Spanien für den umstrittenen Artikel 26 zum Thema Mehrwegsysteme die Möglichkeit vor, anhand unterschiedlicher Ziele zwischen Wiederverwendung und Wiederbefüllung zu unterscheiden. Ähnlich hatte es auch das Parlament vorgeschlagen. Der Vorschlag der EU-Kommission vermischt die beiden Systeme mit gemeinsamen Zielen.
Spanien eröffnet auch eine Debatte über die Definition des Begriffs “zum Mitnehmen” (für Restaurants), ebenfalls im Hinblick auf die Mehrwegziele. Die Ratspräsidentschaft erwägt auch die Möglichkeit, den Weinsektor von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Mehrwegflaschen auszunehmen.
In einem weiteren Arbeitspapier geht die Ratspräsidentschaft auf Artikel 7 der Verordnung ein, der einen Mindestanteil an recyceltem Material in Kunststoffverpackungen festlegt. Mehrere Mitgliedstaaten setzen sich jedoch für eine Anerkennung der Verwendung von biobasiertem Kunststoff ein, um die Ziele zu erreichen. Spanien erklärt, biobasierte Kunststoffe sollten nicht verwendet werden, um die Zielvorgaben für den Recyclinganteil zu erreichen, und schlägt vier Szenarien vor:
In jedem Fall müssten biobasierte Kunststoffe strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, schlussfolgert die Ratspräsidentschaft – die jedoch erst noch entwickelt werden müssen.
Die EU-Kommission hatte den Entwurf für die Verpackungsverordnung im November 2022 vorgelegt. Zurzeit verhandeln Rat und Parlament intern über ihre jeweilige Position. leo
Eine Aktion des Discounters Penny bewertet der Markenverband als “nicht zu Ende gedacht”. Das Handelsunternehmen hat für neun seiner mehr als 3.000 Produkte in der vergangenen Woche die “wahren Preise” – also den Betrag, der unter Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste – verlangt. “Ich bewerte das ambivalent”, sagt der Hauptgeschäftsführer des Markenverbands Christian Köhler. “Penny hat einerseits eine Schieflage im System deutlich gemacht. Andererseits schlägt der Discounter keine Lösung für das Problem vor.” Die Aktion sei deshalb nicht zu Ende gedacht und erwecke den Anschein: besser irgendwie als gar nicht erwähnt.
“Ohne eine lösungsorientierte Zielrichtung schürt die Aktion lediglich Angst bei der Penny-Kundschaft. Das kann zu nichts Gutem führen – populistischen Kräften, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten, spielt das in die Hände“, bemängelt Köhler weiter. Für den Hauptgeschäftsführer des Markenverbands bleibt es bislang “ein durchschaubarer Versuch, sich im Wettbewerb mit anderen Discountern, irgendwie abzusetzen”. Über sinkende Preise ginge das nicht, denn die niedrigste Kostenstruktur besitze “wohl weiterhin ohnehin Aldi”, meint Köhler. “Handelsunternehmen sollten sich ebenfalls als Teil des Problems erkennen und vor diesem Hintergrund Lösungsvorschläge ableiten.” Das könnte Vorschläge zum Schließen von Stoffkreisläufen oder auch Forderungen an die Politik umfassen, beispielsweise Bürokratieerleichterungen, um Dokumentationskosten zu senken, analysiert Köhler.
Das Ergebnis der Penny-Aktion, die am vergangenen Sonntag auslief, plant der Discounter erst im kommenden Jahr in einer Studie gemeinsam mit der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald vorzustellen, sagt ein Sprecher des Handelsunternehmens. Wissenschaftler aus Nürnberg und Greifswald haben bereits die “wahren Preise”, die in der vergangenen Woche unter anderem Käse und Wiener Würstchen verteuerten, berechnet.
Wenig begeistert reagierte auch das Landvolk Niedersachsen. Gerade Discounter orientierten sich beim Einkauf “immer” am günstigsten Anbieter, um ihren Gewinn zu steigern und interessierten sich üblicherweise wenig für die wahren Kosten der Erzeugung und positive Umweltleistungen in der Landwirtschaft, moniert deren Vizepräsident Jörn Ehlers. “Das war eine gezielte PR-Aktion im Sommerloch für den Discounter Penny”, wertet Ehlers. Die Penny-Aktion wurde in der vergangenen Woche auch in der Tagesschau erwähnt. has
Menschen in Deutschland entscheiden sich im Vergleich zu anderen EU-Bürgern im Supermarkt besonders oft für Milchersatzprodukte. Das zeigt eine Studie der Universität Hohenheim. Für die Untersuchung werteten Wissenschaftlerinnen des Fachgebiets Agrarmärkte 3.086 Antworten aus, die im Zuge des Projekts “The V-PLACE – Enabling consumer choice in vegan or vegetarian food products” erhoben wurden. Einzigartig sind aus Sicht der Wissenschaftlerinnen Rebecca Hansen und Beate Gebhardt, die Deutschen in ihrer besonders kritischen Einstellung zum Tierwohl.
Insbesondere bei denjenigen, die sich vegetarisch oder vegan ernährten, bestehe eine um 34 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, Milchersatzprodukte zu kaufen. “Dies bestätigt unsere Annahme, dass die Entscheidung für den Verzehr von pflanzlichen ‘Molkereiprodukten’ weitgehend von den Ernährungsgewohnheiten bestimmt wird”, stellt Gebhardt fest.
Soziale Normen und kulturelle Traditionen beeinflussten die Deutschen weniger stark in ihren Konsumentscheidungen als die Menschen in den Nachbarländern. In Frankreich, wo der Verzehr von Käse aus tierischer Milch eine lange Tradition habe, seien die Verbraucher von pflanzlichen Molkerei-Alternativen nur schwer zu überzeugen, berichten Gebhardt und Hansen. Auch in Spanien und Italien hinderten Bedenken hinsichtlich des Geschmacks viele Konsumenten daran, Molkerei-Ersatzprodukte zu konsumieren.
Die untersuchte Stichprobe könne nur als begrenzt repräsentativ angesehen werden, da ausschließlich Personen in die Untersuchung aufgenommen worden seien, die entweder schon pflanzliche “Milchprodukte” konsumierten oder mit diesem Gedanken spielten, erläutert Hansen. Menschen, die “daran überhaupt nicht interessiert waren, wurden nicht berücksichtigt”. Überrascht zeigen sich die beiden Wissenschaftlerinnen dennoch über eine Beobachtung: “Entgegen unserer Erwartungen haben das Bildungsniveau und andere soziodemografische Faktoren keinen statistisch gesicherten Einfluss auf die Häufigkeit des Konsums pflanzlicher ‘Molkereiprodukte'”, stellt Gebhardt fest. heu/AgE
Die EU-Kommission hat Leitlinien für eine naturnähere Waldbewirtschaftung erarbeitet. Ein entsprechendes Arbeitsdokument hat sie Ende Juli dem Rat übermittelt. Darin stellt sie Methoden vor, welche die Biodiversität, Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Wälder gegen den Klimawandel stärken sollen. Die Leitlinien sollen dabei die zuständigen Behörden und wichtigsten Akteure unterstützen.
Als Ziele der naturnahen Waldbewirtschaftung nennt die Kommission die Erhöhung der strukturellen Komplexität und die Förderung der natürlichen Walddynamik. Sie basiert laut dem Dokument auf den folgenden Prinzipien:
Darunter fallen etwa eine natürliche Regeneration von Bäumen, respektvolle Erntebedingungen, die Minimierung anderer Bewirtschaftungseingriffe oder Artenschutz. Da das Wissen und die Erfahrung mit diesen Methoden in der EU nicht gleich verteilt seien, will die Kommission über das “Pact for Skills”-Programm auch Organisationen unterstützen, die sich um die Verbesserung von Ausbildung bemühen.
Die Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne), selbst Forstwissenschaftlerin, nennt diese Leitlinien eine “verpasste Chance” und “völlig ungenügend”: Angesichts der Waldbrände in Europa und der bislang fast ausschließlich reaktiven Waldbrandmaßnahmen der EU sei es höchste Zeit, Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Diese seien in den Leitlinien jedoch nicht zu finden, stattdessen “sei es sogar ‘naturnah’, Wälder kahlzuschlagen und anschließend Baumplantagen zu pflanzen”. Dabei schreibe die Kommission selbst, dass intensiv bewirtschaftete Wälder und Waldplantagen anfälliger für Waldbrände seien als intakte Waldökosysteme.
Zudem seien die Leitlinien nicht verbindlich. Um gemeinsame Standards für eine feuersichere Bewirtschaftung der Wälder zu entwickeln, brauche es eine “echte europäische Waldpolitik, das heißt verbindliche EU-Direktiven oder Verordnungen, die sich an den Naturfunktionen des Waldes orientieren”. Dazu gehöre, dass dieser Kohlendioxid absorbiere und als CO₂-Senke fungiere. Das für Herbst geplante EU-Gesetz zur Waldüberwachung könnte helfen, “verbindliche Definitionen für einen intakten Wald festzulegen sowie Schäden zu identifizieren”, sagt Deparnay-Grunenberg. “Das würde zeigen, wie groß der Handlungsdruck bereits ist”. leo

Für mehr Klimaschutz, Resilienz und Nachhaltigkeit braucht es rasch einen Transformationsfonds zur Finanzierung der Umgestaltung der Land- und Ernährungswirtschaft. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen ist die Argumentationslinie, an der sich nationale und europäische Politik orientieren sollte, um weitere Schäden und Verluste an den Gemeingütern, wie Versorgungssicherheit, Klima, Wasser und Biodiversität nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Der Markt versagt an dieser Stelle, wie wir gerade erleben.
Die Inflation lenkt den Konsum zum günstigen Produkt und heizt die industrielle Nahrungsmittelproduktion noch weiter an. Betriebe, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, schon nachhaltig und ökologisch wirtschaften und ihre vielen Leistungen für das Gemeinwohl in ihre Produktpreise internalisieren, stehen plötzlich im Regen – das betrifft nicht nur ökologische Produkte, sondern auch konventionelle, vor allem aus hochwertiger regionaler und regenerativer Erzeugung. Sie alle leiden unter der aktuellen Kaufzurückhaltung.
Gerade jetzt zeigt sich die Verwundbarkeit der nationalen Nahrungsmittelversorgung durch die globalisierten Wertschöpfungsketten bei Roherzeugnissen und Produktionsmitteln, wie Dünger, Energie und Technik. Der Krieg in der Ukraine hat mit einem Schlag offengelegt, welche Abhängigkeiten bestehen. Wenn die Agrarwende gelingen soll, hin zu einer zukunftsfähigen, im Einklang mit den planetaren Grenzen stehenden Art der Bodenbewirtschaftung und Nutztierhaltung, sollte der Staat eingreifen und starke Anreize setzen für die Umgestaltung der Land- und Ernährungswirtschaft zu mehr Resilienz und Nachhaltigkeit.
Die Einrichtung eines nationalen Transformationsfonds für zunächst drei Jahre wäre eine angemessene Reaktion auf die existierenden Verhältnisse und würde in der aktuellen Situation eine ausreichende wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entspannung mit sich bringen, um die dringend notwendigen Strategien für mittel- und langfristige Lösungen auszuarbeiten. Mit dem Rücken an der Wand ist es schwierig, langfristige Strategien zu entwickeln und auszuhandeln.
Regionales und nachhaltig regeneratives Wirtschaften gewinnt aktuell eine ganz andere Dimension als bisher, wo Regionalität höchstens als Nische für Betriebe galt, die aufgrund ihrer geringen Größe, im großen Weltmarkt nicht mehr mitspielen konnten. Nachhaltiges und resilientes Wirtschaften in regionalen Wertschöpfungsräumen ist das neue Theorem, das von vielen Akteuren in großer Einigkeit gefordert wird. Folgerichtig fordern sie von der Politik, endlich die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das haben die jüngsten Veranstaltungen in Berlin gezeigt, wie der Agrarkongress des Bundesumweltministeriums und die Internationale Grüne Woche in Berlin mit ihren zahlreichen Veranstaltungen, unter anderem der alljährlichen Großdemonstration “Wir haben es satt”, bei dem ein breites Agrar-Bündnis aus Landwirten, Verbänden und Konsumenten gemeinsam für eine zukunftsfähige Agrarpolitik auf die Straße gingen.
Die landwirtschaftlichen Betriebe sollten die Bereitstellung ihrer Leistungen für das Gemeinwohl von der öffentlichen Hand direkt und nicht wie bisher über die Produkte bezahlt bekommen. Schätzungsweise 200 Euro pro Bundesbürger*in und Jahr würde es nach unseren Berechnungen kosten, wenn alle entsprechenden Leistungen und Maßnahmen der gesamten deutschen Landwirtschaft, nicht nur der ökologischen vergütet würden. Das wären durchschnittlich knapp 1.000 Euro pro Hektar, abhängig vom Nachhaltigkeitsgrad des einzelnen Betriebs. Die Methoden und Instrumente, wie diese Mehrwertleistungen der Landwirtschaft für Gemeinwohl und Nachhaltigkeit berechnet werden können, sind entwickelt und anwendungsbereit.
Eine solche Intervention des Staates hätte zur Folge, dass die Nahrungsmittel im Regal günstiger würden. Für die Kosten zum Schutz der Gemeingüter in der landwirtschaftlichen Produktion kämen nicht die Verbraucher*innen über den Produktpreis auf, sondern sie würden aus allgemeinen staatlichen Mitteln bezahlt, was eine breitere Finanzierungsbasis wäre. Der große Vorteil: Einkommensschwächere Haushalte könnten sich mehr hochwertiges Essen leisten und gleichzeitig würde die Produktion insgesamt nachhaltiger.
Um darüber hinaus die notwendige Agrarwende zu finanzieren, bräuchte es ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die aber alle ihre Zeit brauchen, bis sie wirksam werden. Zum Beispiel könnten Kredite an die Nachhaltigkeitsperformance der Unternehmen gebunden werden: Wer nachhaltig wirtschaftet, zahlt weniger Zinsen als die, die nicht nachhaltig arbeiten, also Risiken für sich und die Gesellschaft verursachen.
Mit neuen Regeln der betrieblichen Erfolgsrechnung, die bereits in Wissenschaft, Regulatorik und Praxis in Bearbeitung sind, könnte die Politik die Weichen für wirtschaftlichen Erfolg auf Nachhaltigkeit stellen. Betriebswirtschaftliche Effizienz dürfte dann nicht mehr zulasten der langfristigen Produktivität gehen. Die in Ausarbeitung befindlichen neuen Regeln zur Geschäftsberichterstattung auf EU-Ebene, wie die Taxonomie und die Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) sind die Vorboten einer solchen neuen Regulatorik in der Rechnungslegung.
Künftig sollen nach den Vorstellungen einiger Reformer aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sogar Investitionen in nachhaltiges Wirtschaften dem Betriebsvermögen zugeschrieben und nicht mehr als betriebliche Kosten veranschlagt werden. Damit wäre nachhaltiges, unternehmerisches Handeln im Wettbewerb nicht mehr benachteiligt. Wer dann nachweislich nicht in die nachhaltige Unternehmensführung investieren würde, müsste dafür Risikorückstellungen in der Bilanz vornehmen. Damit wäre ein neues Sustainable Performance Accounting geschaffen.
Richtig rechnen ist das Gebot der Stunde, Schäden zu vermeiden ist billiger, als bereits entstandene Schäden zu beheben. Die Zukunftskommission Landwirtschaft, die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat, trifft diese Feststellung in ihrem ersten Abschlussbericht ebenso wie viele Experten.
Nicht zuletzt die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, deren Neuausrichtung ab 2028 in den kommenden Jahren ausgearbeitet wird, wäre ein sinnvolles Instrument, um endlich den konsequenten Schritt zur vollständigen Leistungsvergütung zu machen, statt das Geld mit der Gießkanne auf die Fläche zu verteilen. Leistungen für den Schutz der Gemeingüter durch ökologisch nachhaltige und regenerative Nahrungsmittelproduktion müssen bezahlt werden, sonst können sie nicht erbracht werden. Die Logik entspricht doch unserem gesellschaftlich fest verankerten Leistungsdenken “Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“! Was spricht dagegen?
Christian Hiß, Gründer und Geschäftsführer der Regionalwert Leistungen GmbH, wo er sich seinem Lebensthema widmet, der bilanziellen Berücksichtigung sozialer und ökologischer Leistungen von landwirtschaftlichen Betrieben. Er hat selbst viele Jahre als Landwirt und Gärtner gearbeitet, bevor er 2006 in Freiburg die erste Regionalwert AG gründete. Später holte er sein Abitur nach und machte den Master of Social Banking and Social Finance, um sich mit einer erweiterten Form der Finanzbuchhaltung zu beschäftigen.
die Ampelkoalition hat jüngst Erleichterungen im Baurecht auf den Weg gebracht, damit Ställe artgerecht umgebaut werden können. Anfang Oktober treten die neuen Rechtsgrundlagen voraussichtlich in Kraft. Reihenweise “Tierwohl”-Ställe werden trotzdem nicht gebaut, erläutert Peter Spandau von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen im Interview.
In fast allen Kornkammern der Welt drohen Einbußen, die in der Summe die globale Versorgung gefährden könnten. Am größten erscheint derzeit die Misere in Indien, dem zweitgrößten Weizenproduzenten der Welt, schreibt Agrarmarktanalyst Steffen Bach vom Börsenhändler Kaack Terminhandel.
Am vergangenen Sonntag ist die Penny-Aktion zu “wahren Preisen” zu Ende gegangen. Wir haben mit dem Hauptgeschäftsführer des Markenverbands, Christian Köhler, gesprochen, der die Kampagne scharf kritisiert.
Gestatten Sie uns bitte noch einen Glückwunsch in eigener Sache: Heute Morgen um sechs Uhr ist bei Table.Media die 500. Ausgabe des Europe.Table erschienen. Fünfhundert Briefings, vollgepackt mit News zur europäischen Politik in Brüssel und tiefgründigen Analysen der EU-Gesetze und -Verordnungen. An (fast) jedem Werktag seit dem 3. August 2021 liefert das Team um Till Hoppe Aktualität, Relevanz und journalistische Qualität. Hier geht’s zum kostenfreien Test.

Herr Spandau, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich auf die Fahne geschrieben, die Agrarwende im Stall voranzutreiben. Wie bewerten Sie die neue Rechtsgrundlage, die dafür sorgen soll, dass Schweinehaltende endlich ihre Ställe umbauen und Tiere besser gehalten werden können?
Die Absicht des Ministers und das allgemeine Bekenntnis der Bundesregierung, gehobenere Standards in der Tierhaltung zu fördern, finde ich grundsätzlich völlig richtig. Allerdings rechne ich nach gründlicher Analyse und langjähriger Erfahrung in allen rechtlichen Fragen rund um die Tierhaltung mit Schwerpunkt Schweineproduktion nicht damit, dass Schweinehalter aufgrund der neuen Rechtslage nun reihenweise “Tierwohl”-Ställe bauen werden.
Die Branche klagt seit Langem über unüberwindbare Hürden bei der Genehmigung neuer Ställe und fehlende Möglichkeiten, alte Ställe in moderne Anlagen umzubauen. Eine baurechtliche Privilegierung von “Tierwohl”-Ställen soll das jetzt ändern. Warum zweifeln Sie?
Als Laie könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass jeder Schweinehalter nun einen modernen tierwohlgerechten Stall bauen kann, vorausgesetzt die Kriterien des staatlichen Tierhaltungskennzeichens für die Haltungsstufen “Auslauf”, “Frischluft/Weide” oder “Bio” sind erfüllt. Zwar hängt die Bundesregierung die Einigung auf eine vermeintliche Transformation der Tierhaltung hoch auf, aber die Wirkung in der Praxis ist eben gering.

Wie viele Schweinemäster und Schweinemästerinnen profitieren denn von der Änderung des BauGB?
Ohne zu tief in das Genehmigungsrecht von Bauvorhaben einzusteigen: Die Novelle privilegiert jetzt wieder gewerbliche Schweineställe, also solche, die über keine ausreichende Futtergrundlage verfügen, ab einer Größenordnung von 1.500 Mast- bzw. 560 Sauenplätzen, allerdings nur bei der Umsetzung von Tierwohlmaßnahmen ohne Bestandsaufstockung. Kleinere Schweinehaltungen grundsätzlich und größere mit ausreichender Futterfläche waren auch ohne diese Gesetzesänderung immer in der Lage diesen Schritt zu gehen. Die so getroffenen, gewerblichen Anlagen ab den genannten Größenordnungen sind bundesweit nur eine Minderheit.
Rund 80 Prozent dieser betroffenen Betriebe liegen in den intensiven Veredelungsregionen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Im Regierungsbezirk Münster, der auch als Hochburg der Schweinehaltung bekannt ist, profitieren z. B. geschätzt lediglich 15 Prozent aller Schweinemäster.
Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?
Für den weitaus überwiegenden Teil aller Schweinehalter und Schweinehalterinnen war auch bisher das Baurecht keine Hürde, neue Tierwohlställe zu bauen bzw. ihre vorhandenen Ställe zu Tierwohlställen umzubauen. Die Schlussfolgerung daraus ist also offensichtlich: Es muss neben den wirtschaftlichen Aspekten andere rechtliche Hindernisse geben, die bislang verhindern, dass der Einstieg in die Haltung nach vorgegebenen Tierwohlkriterien stockt.
Wo sehen denn die Fachleute diese rechtlichen Hürden?
Entscheidend ist das über die Jahre immer strenger gewordene Umweltrecht und hier in ganz besonderem Maße der Immissionsschutz. Das betrifft zum einen den Schutz der Nachbarn von Tierhaltungsanlagen vor Gerüchen und zum anderen den Schutz von stickstoffempfindlichen Biotopen vor Ammoniak. Dies führte dazu, dass die Anforderungen an die Lüftung klassischer Schweineställe immer weiter stiegen. Dies ist z. B. an den hohen Abluftkaminen auf diesen Ställen erkennbar.
Bei typischen Tierwohlställen mit Außenklima oder sogar Auslauf ist ein großer Teil dieser technischen Minderungsmaßnahmen aber nicht umsetzbar. Zudem produzieren diese Ställe zwar nicht unbedingt mehr Emissionen, haben aber ein schlechteres Ableitungsverhalten, da der Verdünnungseffekt in höheren Luftschichten nicht umsetzbar ist. Also scheitern viele geplante Bau- bzw. Umbauvorhaben für Tierwohl gar nicht am jetzt geänderten Baurecht, sondern am Immissionsschutzrecht.
Um Konflikte mit dem Umweltrecht zu lösen, wurde die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) aber geändert. Wer die Kriterien des staatlichen Tierhaltungskennzeichens für die Haltungsstufen “Auslauf”, “Frischluft/Weide” oder “Bio” erfüllt, wird auch im Umweltrecht privilegiert. Bringt das nichts?
Die TA Luft kennt sogenannte Schutz- und Vorsorgeanforderungen. Die Schutzanforderungen – diese betreffen im Wesentlichen die Mindestabstände zu Wohnbebauung und Biotopen – müssen unabhängig von der Stallkapazität alle Tierhaltungsanlagen erfüllen. Die Vorsorgeanforderungen, die über die Schutzanforderungen hinausgehen und daher zusätzliche Sicherheit geben sollen, gelten hingegen nur für Anlagen, die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu genehmigen sind. Dies sind in der Schweinehaltung alle Anlagen mit den vorne bereits genannten Tierplatzzahlen.
Bei den Vorsorgeanforderungen haben sich bei der letzten Novelle der TA-Luft deutliche Verschärfungen für Tierhaltungsanlagen ergeben, die auch auf Bestandsanlagen wirken. Genau hier wurden auch die Erleichterungen für Tierwohlstallungen eingefügt. Bei den Schutzanforderungen gibt es diese Erleichterungen nicht. Es wäre für einen Anwohner auch kaum nachvollziehbar, dass er, nur weil der benachbarte Schweinestall mehr Tierwohl macht, ein höheres Maß an Gerüchen ertragen muss als eigentlich vorgesehen. Im Klartext: Bei den meisten Vorhaben zu Tierwohl haben die vermeintlichen Erleichterungen in der TA-Luft keinen Nutzen.
Die Bundesregierung hat im Baurecht festgelegt, dass umgebaut werden darf, ohne die Tierzahl minimieren zu müssen …
Das stimmt, aber das ist eben nur das Baurecht. Und die damit verbundenen Aussage lässt sich auch politisch gut verkaufen. Das dicke Ende kommt dann im Genehmigungsverfahren. Ich gehe davon aus, dass der überwiegende Teil geplanter Bau- bzw. Umbauvorhaben für mehr Tierwohl in der Schweinehaltung aus immissionsschutzrechtlichen Gründen nur umsetzbar ist, wenn im Unternehmen die Tierplatzzahlen reduziert werden.
Vor diesem Hintergrund wird es sich ein Schweinemäster zweimal überlegen, auf Tierwohl umzustellen. Denn neben den höheren Kosten für die Mast der Schweine unter Tierwohlbedingungen schlägt wirtschaftlich noch der entgangene Gewinn durch die Reduzierung des Tierbestandes zu Buche.
Dafür gibt es doch finanzielle Förderung im Rahmen der Tierwohlmilliarde …
Das stimmt. Zum einen gibt es hier aber nur einen degressiv gestaffelten Investitionskostenzuschuss zwischen 50 Prozent und 60 Prozent für notwendige Baumaßnahmen und keine Kompensation von Einkommensverlusten. Zum anderen einen ebenfalls degressiv gestaffelten Zuschuss zwischen 70 Prozent und 80 Prozent zu den laufenden Mehrkosten für 10 Jahre. Dieser ist jedoch auf max. 6.000 verkaufte Mastschweine gedeckelt. Die fehlende Kompensation aller Mehrkosten müsste also über einen höheren Verkaufserlös kommen. Dass dies dauerhaft passieren wird, glauben jedoch die wenigsten Schweinehalter.
Warum nicht?
Erstens sinkt der Konsum von Schweinefleisch. Schrumpft der Verzehr in den kommenden Jahren wie bisher, liegen wir im Jahr 2040 (Mindestzeitraum der Amortisation von heutigen Investitionen in die Schweinehaltung) bei einem pro Kopf-Verbrauch von nur noch 18 Kilogramm. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 waren es noch 40 Kilogramm pro Kopf. Es würde also in einen schrumpfenden Markt hinein investiert werden.
Hinzukommt, dass der Schweinefleischverzehr tendenziell in mittleren und einkommensschwachen Haushalten stattfindet. Diese werden für Tierwohl kaum tiefer in die Geldbörse greifen.
Und zuletzt werden diese Schweine im Export keinen adäquaten Preis erzielen können, da im globalen Schweinefleischmarkt Tierwohl praktisch keine Rolle spielt.
Auf welches Zukunftsszenario muss die Branche sich einstellen?
In der Schere von steigenden Produktionskosten auf der einen Seite und rückläufigem Verzehr, sowie sinkenden Exportchancen auf der anderen Seite wird der Markt für deutsches Schweinefleisch nachhaltig schrumpfen. Hohe Tierwohlstandards werden hier kein Ausweg sein, sondern auch weiterhin lediglich einen (kleinen) Teilmarkt bedienen. Meiner Ansicht nach müssen Schweinehalter in Deutschland schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, dass der schon seit etwa 2015 laufende Schrumpfungsprozess der deutschen Schweinehaltung keine Trendwende mehr erleben wird.
Aber der Strukturwandel begleitet die Branche nicht erst seit Amtsantritt von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Während der strukturierte Umbau der Tierhaltung unter Führung der Großen Koalition immer wieder aufgeschoben wurde, gibt es jetzt immerhin einen klaren rechtlichen Rahmen …
Ob der rechtliche Rahmen wirklich klar ist, wage ich zu bezweifeln. Was jedoch zuallererst fehlt, ist eine klares und ehrliches Bekenntnis der Politik zu ihren Zielvorstellungen. Man kann nicht einerseits die Landwirtschaft animieren, weiterhin in die Fleischerzeugung zu investieren und auf der anderen Seite dem Vegetarismus das Wort reden.
Können Mäster ihr Standbein nicht in anderen Bundesländern in ländlichen Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte aufbauen?
Nein, zum einen löst das nicht das grundsätzliche Problem des schrumpfenden Marktes, zum anderen müsste dort eine entsprechende Infrastruktur erst aufgebaut werden. Außerdem hat die Erfahrung gezeigt, dass in den Regionen, wo kein Vieh steht, die Gegenwehr der Bürger gegen Stallbauten am größten ist.
Die Grünen wollten ursprünglich, dass in Deutschland zum Schutz des Klimas weniger Tiere gehalten werden und sie wollen regionale Schlachtstrukturen wieder aufbauen. Haben sie mit dieser Rechtsgrundlage den Weg dafür geebnet?
Zurzeit wird dieser Weg eher durch verschlepptes Handeln geebnet.
Bis vor einigen Monaten schien die globale Weizenversorgung für das Wirtschaftsjahr 2023/24 gesichert. Trotz des Krieges in der Ukraine lief der Export aus Russland und der Ukraine weitgehend reibungslos. Die Kurse an den Börsen befanden sich monatelang in einem Sinkflug, bis sie Ende Mai bis auf den tiefsten Stand seit dem Sommer 2021 fielen. Inzwischen hat sich die Lage gewandelt. Die zivile Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer ist immer stärker durch Kriegshandlungen bedroht, was Reedereien veranlassen könnte, den Getreidetransport aus Russland einzustellen. Doch auch jenseits des Krieges in der Ukraine mehren sich auf dem Weizenmarkt die Warnsignale.
In fast allen Kornkammern der Welt drohen Einbußen, die in der Summe die globale Versorgung gefährden könnten. Am größten erscheint derzeit die Misere in Indien, dem zweitgrößten Weizenproduzenten der Welt. Eine Hitzewelle im März und April schädigte die Weizenernte. Die Regierung hält dennoch daran fest, dass eine Rekordernte von 113 Millionen Tonnen Weizen geerntet worden sei. Private Agrarhändler halten 100 Millionen Tonnen für realistisch. Das wäre das schlechteste Ergebnis seit vier Jahren und läge deutlich unter dem Verbrauch von 108 Millionen Tonnen. Für dieses Szenario spricht, dass in der indischen Regierung über eine Senkung oder Abschaffung der Importzölle auf Weizen diskutiert wird. Außerdem wurde bereits ein Exportstopp für fast alle Reis-Sorten verhängt. Dies bereitet vielen traditionellen Abnehmern in Asien und Afrika große Sorgen, denn mit rund 10 Millionen Tonnen ist Indien der größte Reis-Exporteur der Welt (24 Prozent des Welthandels).
Das offensichtliche Versorgungsdefizit mit Weizen in Indien lässt sich nur durch Importe ausgleichen. Medienberichte, nach denen Indien beabsichtige bis zu 9 Millionen Tonnen Weizen aus Russland zu importieren, wurden zwar offiziell dementiert. Ohne Einfuhren in einer Größenordnung von 5 bis 10 Millionen Tonnen wird es aber kaum gehen. Indien würde damit zu einem der wichtigsten Weizenkäufer auf dem Weltmarkt. Die nationalen Weizenreserven in Indien in Höhe von 9,5 Millionen Tonnen reichen nur noch aus, um den Bedarf für gut einen Monat zu decken. Seit 15 Jahren war das Weizenpolster in Indien nicht mehr so klein.
Doch auch in anderen Regionen gibt es Probleme:
In der Europäischen Union und in Kanada müssen die ursprünglichen Ertragsprognosen nach unten korrigiert werden. In China hat der Regen während der Ernte dazu geführt, dass viel Weizen nicht mehr als Lebensmittel verwendet werden kann, sondern in den Futtertrog wandert. Dies könnte China dazu zwingen, mehr hohe Weizenqualitäten zu importieren. In weiten Teilen Europas verregnet der Weizen auf den Feldern. Wie stark die Qualitätseinbußen sind, muss abgewartet werden. Dass guter Backweizen mit hohen Proteinwerten und Fallzahlen knapp und teuer sein wird, erscheint aber schon heute sehr wahrscheinlich.
Probleme drohen auch auf der Südhalbkugel. In Australien wird die Produktion nach einer letztjährigen Rekordernte von 40 Millionen Tonnen in diesem Jahr einbrechen. Das Land profitierte in 2022 vom La-Niña-Phänomen, das überdurchschnittliche Niederschläge auf den Fünften Kontinent gebracht hat. Nun hat sich die Lage gewandelt und das Gegenstück El Niño macht aus Australien einen trockenen Backofen. Dies ließ die Weizenproduktion beim letzten El Niño in 2020 bis auf 14,5 Millionen Tonnen einbrechen. Die aktuelle Prognose des US-Agrarministeriums liegt für Australien bei 29 Millionen Tonnen. Das entspricht einer Menge, die man als ambitioniert bezeichnen kann.
Umgekehrt ist die Situation in Argentinien, wo La-Niña im vergangenen Jahr die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten ausgelöst hat. Für die Aussaat zur Ernte 2024 kamen die Niederschläge im Juni und Juli erst zu spät und dann zu heftig, sodass die Weizenfläche in Argentinien kleiner ausfiel als geplant. Die Weizenproduktion wird sich zwar erholen, eine durchschnittliche Ernte erscheint nach dem schwierigen Start aber kaum noch möglich. In Gefahr gerät auch die nächste Ernte in Indien, denn El Niño sorgte auf dem Subkontinent in der Vergangenheit für höhere Temperaturen und geringere Niederschläge. Indien könnte so auch in 2024, also für ein weiteres Jahr, auf Weizenimporte angewiesen sein.
Im ungünstigsten Fall könnte durch die kleineren Ernten in Indien, der EU, China, den USA, Kanada, Australien und Argentinien die globale Bilanz gegenüber den Prognosen aus dem Frühsommer um über 20 Millionen Tonnen kleiner ausfallen. Vor allem bei guten Qualitäten, die für die Herstellung von Brot und Nudeln benötigt werden, drohen Engpässe. Unter den steigenden Preisen leiden vor allem die Länder mit einer wenig kaufkräftigen Bevölkerung. In den vergangenen Jahren haben steigende Weizen- und Brotpreise politischen Unruhen ausgelöst, Regierungen gestürzt und Staaten destabilisiert. Umso wichtiger wäre es jetzt, dass die internationale Gemeinschaft sich für eine Fortsetzung des Getreideabkommens am Schwarzen Meer einsetzt und vorbeugende Maßnahmen zur Versorgung der ärmsten Länder ergreift.

Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?
Wenn die Agrarpolitik das Ziel des Europäischen Green Deals, bis 2050 der erste klimaneutrale und gleichwohl global wettbewerbsfähige Kontinent zu werden, ernst nimmt, braucht es jetzt einen Innovations-Wumms. Ein wesentlicher Schlüssel liegt in neuen Technologien: moderne Züchtungsmethoden, digitale Präzisionslandwirtschaft, aber auch biologischer Pflanzenschutz oder klimaneutrale Mineraldünger. Hier muss die Politik Neues fördern und rasche Markteinführung möglich machen.
Wie wird sich die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach bis 2050 verändern?
Entgegen landläufiger Klischees ist die Landwirtschaft seit jeher eine enorm innovative Branche. Zur Stunde werden viele neue Technologien praxisreif. Wenn wir offen und positiv mit diesen Technologien umgehen, bin ich sicher, dass wir bis 2050 in Deutschland und Europa eine leistungsfähige und nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft haben werden.
Für wie wichtig halten Sie Bio?
Landwirtschaft ist vielfältig, und Bio hat in dieser Vielfalt einen festen Platz. Was sich in der Bio-Praxis bewährt hat, gibt auch für konventionell wirtschaftende Betriebe wichtige Impulse. Allerdings wird der ökologische Landbau allein den wachsenden Bedarf an Agrarrohstoffen mit seinen erheblich geringeren Flächenerträgen nicht bedienen können.
Frank Gemmer ist seit Juli 2020 Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar e. V. (IVA). Er hatte zuvor verschiedene Führungspositionen im Agribusiness inne; zuletzt verantwortete er das Deutschlandgeschäft von Adama. Im Nebenerwerb bewirtschaftet er einen Familienbetrieb in Rheinland-Pfalz mit 40 ha Ackerbau.
Die spanische Ratspräsidentschaft erarbeitet bis zum 15. September einen neuen Kompromissvorschlag zur EU-Verpackungsverordnung. Bis letzte Woche hat sie Stellungnahmen der Mitgliedstaaten zu einem Arbeitspapier gesammelt, in dem sie einige neue Wege zu einer möglichen Einigung aufzeigt. Das von der französischen Medienplattform Contexte veröffentlichte Papier wurde am 14. Juli bereits in einer Arbeitsgruppe diskutiert.
Demnach schlägt Spanien für den umstrittenen Artikel 26 zum Thema Mehrwegsysteme die Möglichkeit vor, anhand unterschiedlicher Ziele zwischen Wiederverwendung und Wiederbefüllung zu unterscheiden. Ähnlich hatte es auch das Parlament vorgeschlagen. Der Vorschlag der EU-Kommission vermischt die beiden Systeme mit gemeinsamen Zielen.
Spanien eröffnet auch eine Debatte über die Definition des Begriffs “zum Mitnehmen” (für Restaurants), ebenfalls im Hinblick auf die Mehrwegziele. Die Ratspräsidentschaft erwägt auch die Möglichkeit, den Weinsektor von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Mehrwegflaschen auszunehmen.
In einem weiteren Arbeitspapier geht die Ratspräsidentschaft auf Artikel 7 der Verordnung ein, der einen Mindestanteil an recyceltem Material in Kunststoffverpackungen festlegt. Mehrere Mitgliedstaaten setzen sich jedoch für eine Anerkennung der Verwendung von biobasiertem Kunststoff ein, um die Ziele zu erreichen. Spanien erklärt, biobasierte Kunststoffe sollten nicht verwendet werden, um die Zielvorgaben für den Recyclinganteil zu erreichen, und schlägt vier Szenarien vor:
In jedem Fall müssten biobasierte Kunststoffe strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, schlussfolgert die Ratspräsidentschaft – die jedoch erst noch entwickelt werden müssen.
Die EU-Kommission hatte den Entwurf für die Verpackungsverordnung im November 2022 vorgelegt. Zurzeit verhandeln Rat und Parlament intern über ihre jeweilige Position. leo
Eine Aktion des Discounters Penny bewertet der Markenverband als “nicht zu Ende gedacht”. Das Handelsunternehmen hat für neun seiner mehr als 3.000 Produkte in der vergangenen Woche die “wahren Preise” – also den Betrag, der unter Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste – verlangt. “Ich bewerte das ambivalent”, sagt der Hauptgeschäftsführer des Markenverbands Christian Köhler. “Penny hat einerseits eine Schieflage im System deutlich gemacht. Andererseits schlägt der Discounter keine Lösung für das Problem vor.” Die Aktion sei deshalb nicht zu Ende gedacht und erwecke den Anschein: besser irgendwie als gar nicht erwähnt.
“Ohne eine lösungsorientierte Zielrichtung schürt die Aktion lediglich Angst bei der Penny-Kundschaft. Das kann zu nichts Gutem führen – populistischen Kräften, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten, spielt das in die Hände“, bemängelt Köhler weiter. Für den Hauptgeschäftsführer des Markenverbands bleibt es bislang “ein durchschaubarer Versuch, sich im Wettbewerb mit anderen Discountern, irgendwie abzusetzen”. Über sinkende Preise ginge das nicht, denn die niedrigste Kostenstruktur besitze “wohl weiterhin ohnehin Aldi”, meint Köhler. “Handelsunternehmen sollten sich ebenfalls als Teil des Problems erkennen und vor diesem Hintergrund Lösungsvorschläge ableiten.” Das könnte Vorschläge zum Schließen von Stoffkreisläufen oder auch Forderungen an die Politik umfassen, beispielsweise Bürokratieerleichterungen, um Dokumentationskosten zu senken, analysiert Köhler.
Das Ergebnis der Penny-Aktion, die am vergangenen Sonntag auslief, plant der Discounter erst im kommenden Jahr in einer Studie gemeinsam mit der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald vorzustellen, sagt ein Sprecher des Handelsunternehmens. Wissenschaftler aus Nürnberg und Greifswald haben bereits die “wahren Preise”, die in der vergangenen Woche unter anderem Käse und Wiener Würstchen verteuerten, berechnet.
Wenig begeistert reagierte auch das Landvolk Niedersachsen. Gerade Discounter orientierten sich beim Einkauf “immer” am günstigsten Anbieter, um ihren Gewinn zu steigern und interessierten sich üblicherweise wenig für die wahren Kosten der Erzeugung und positive Umweltleistungen in der Landwirtschaft, moniert deren Vizepräsident Jörn Ehlers. “Das war eine gezielte PR-Aktion im Sommerloch für den Discounter Penny”, wertet Ehlers. Die Penny-Aktion wurde in der vergangenen Woche auch in der Tagesschau erwähnt. has
Menschen in Deutschland entscheiden sich im Vergleich zu anderen EU-Bürgern im Supermarkt besonders oft für Milchersatzprodukte. Das zeigt eine Studie der Universität Hohenheim. Für die Untersuchung werteten Wissenschaftlerinnen des Fachgebiets Agrarmärkte 3.086 Antworten aus, die im Zuge des Projekts “The V-PLACE – Enabling consumer choice in vegan or vegetarian food products” erhoben wurden. Einzigartig sind aus Sicht der Wissenschaftlerinnen Rebecca Hansen und Beate Gebhardt, die Deutschen in ihrer besonders kritischen Einstellung zum Tierwohl.
Insbesondere bei denjenigen, die sich vegetarisch oder vegan ernährten, bestehe eine um 34 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, Milchersatzprodukte zu kaufen. “Dies bestätigt unsere Annahme, dass die Entscheidung für den Verzehr von pflanzlichen ‘Molkereiprodukten’ weitgehend von den Ernährungsgewohnheiten bestimmt wird”, stellt Gebhardt fest.
Soziale Normen und kulturelle Traditionen beeinflussten die Deutschen weniger stark in ihren Konsumentscheidungen als die Menschen in den Nachbarländern. In Frankreich, wo der Verzehr von Käse aus tierischer Milch eine lange Tradition habe, seien die Verbraucher von pflanzlichen Molkerei-Alternativen nur schwer zu überzeugen, berichten Gebhardt und Hansen. Auch in Spanien und Italien hinderten Bedenken hinsichtlich des Geschmacks viele Konsumenten daran, Molkerei-Ersatzprodukte zu konsumieren.
Die untersuchte Stichprobe könne nur als begrenzt repräsentativ angesehen werden, da ausschließlich Personen in die Untersuchung aufgenommen worden seien, die entweder schon pflanzliche “Milchprodukte” konsumierten oder mit diesem Gedanken spielten, erläutert Hansen. Menschen, die “daran überhaupt nicht interessiert waren, wurden nicht berücksichtigt”. Überrascht zeigen sich die beiden Wissenschaftlerinnen dennoch über eine Beobachtung: “Entgegen unserer Erwartungen haben das Bildungsniveau und andere soziodemografische Faktoren keinen statistisch gesicherten Einfluss auf die Häufigkeit des Konsums pflanzlicher ‘Molkereiprodukte'”, stellt Gebhardt fest. heu/AgE
Die EU-Kommission hat Leitlinien für eine naturnähere Waldbewirtschaftung erarbeitet. Ein entsprechendes Arbeitsdokument hat sie Ende Juli dem Rat übermittelt. Darin stellt sie Methoden vor, welche die Biodiversität, Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Wälder gegen den Klimawandel stärken sollen. Die Leitlinien sollen dabei die zuständigen Behörden und wichtigsten Akteure unterstützen.
Als Ziele der naturnahen Waldbewirtschaftung nennt die Kommission die Erhöhung der strukturellen Komplexität und die Förderung der natürlichen Walddynamik. Sie basiert laut dem Dokument auf den folgenden Prinzipien:
Darunter fallen etwa eine natürliche Regeneration von Bäumen, respektvolle Erntebedingungen, die Minimierung anderer Bewirtschaftungseingriffe oder Artenschutz. Da das Wissen und die Erfahrung mit diesen Methoden in der EU nicht gleich verteilt seien, will die Kommission über das “Pact for Skills”-Programm auch Organisationen unterstützen, die sich um die Verbesserung von Ausbildung bemühen.
Die Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne), selbst Forstwissenschaftlerin, nennt diese Leitlinien eine “verpasste Chance” und “völlig ungenügend”: Angesichts der Waldbrände in Europa und der bislang fast ausschließlich reaktiven Waldbrandmaßnahmen der EU sei es höchste Zeit, Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Diese seien in den Leitlinien jedoch nicht zu finden, stattdessen “sei es sogar ‘naturnah’, Wälder kahlzuschlagen und anschließend Baumplantagen zu pflanzen”. Dabei schreibe die Kommission selbst, dass intensiv bewirtschaftete Wälder und Waldplantagen anfälliger für Waldbrände seien als intakte Waldökosysteme.
Zudem seien die Leitlinien nicht verbindlich. Um gemeinsame Standards für eine feuersichere Bewirtschaftung der Wälder zu entwickeln, brauche es eine “echte europäische Waldpolitik, das heißt verbindliche EU-Direktiven oder Verordnungen, die sich an den Naturfunktionen des Waldes orientieren”. Dazu gehöre, dass dieser Kohlendioxid absorbiere und als CO₂-Senke fungiere. Das für Herbst geplante EU-Gesetz zur Waldüberwachung könnte helfen, “verbindliche Definitionen für einen intakten Wald festzulegen sowie Schäden zu identifizieren”, sagt Deparnay-Grunenberg. “Das würde zeigen, wie groß der Handlungsdruck bereits ist”. leo

Für mehr Klimaschutz, Resilienz und Nachhaltigkeit braucht es rasch einen Transformationsfonds zur Finanzierung der Umgestaltung der Land- und Ernährungswirtschaft. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen ist die Argumentationslinie, an der sich nationale und europäische Politik orientieren sollte, um weitere Schäden und Verluste an den Gemeingütern, wie Versorgungssicherheit, Klima, Wasser und Biodiversität nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Der Markt versagt an dieser Stelle, wie wir gerade erleben.
Die Inflation lenkt den Konsum zum günstigen Produkt und heizt die industrielle Nahrungsmittelproduktion noch weiter an. Betriebe, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, schon nachhaltig und ökologisch wirtschaften und ihre vielen Leistungen für das Gemeinwohl in ihre Produktpreise internalisieren, stehen plötzlich im Regen – das betrifft nicht nur ökologische Produkte, sondern auch konventionelle, vor allem aus hochwertiger regionaler und regenerativer Erzeugung. Sie alle leiden unter der aktuellen Kaufzurückhaltung.
Gerade jetzt zeigt sich die Verwundbarkeit der nationalen Nahrungsmittelversorgung durch die globalisierten Wertschöpfungsketten bei Roherzeugnissen und Produktionsmitteln, wie Dünger, Energie und Technik. Der Krieg in der Ukraine hat mit einem Schlag offengelegt, welche Abhängigkeiten bestehen. Wenn die Agrarwende gelingen soll, hin zu einer zukunftsfähigen, im Einklang mit den planetaren Grenzen stehenden Art der Bodenbewirtschaftung und Nutztierhaltung, sollte der Staat eingreifen und starke Anreize setzen für die Umgestaltung der Land- und Ernährungswirtschaft zu mehr Resilienz und Nachhaltigkeit.
Die Einrichtung eines nationalen Transformationsfonds für zunächst drei Jahre wäre eine angemessene Reaktion auf die existierenden Verhältnisse und würde in der aktuellen Situation eine ausreichende wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entspannung mit sich bringen, um die dringend notwendigen Strategien für mittel- und langfristige Lösungen auszuarbeiten. Mit dem Rücken an der Wand ist es schwierig, langfristige Strategien zu entwickeln und auszuhandeln.
Regionales und nachhaltig regeneratives Wirtschaften gewinnt aktuell eine ganz andere Dimension als bisher, wo Regionalität höchstens als Nische für Betriebe galt, die aufgrund ihrer geringen Größe, im großen Weltmarkt nicht mehr mitspielen konnten. Nachhaltiges und resilientes Wirtschaften in regionalen Wertschöpfungsräumen ist das neue Theorem, das von vielen Akteuren in großer Einigkeit gefordert wird. Folgerichtig fordern sie von der Politik, endlich die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das haben die jüngsten Veranstaltungen in Berlin gezeigt, wie der Agrarkongress des Bundesumweltministeriums und die Internationale Grüne Woche in Berlin mit ihren zahlreichen Veranstaltungen, unter anderem der alljährlichen Großdemonstration “Wir haben es satt”, bei dem ein breites Agrar-Bündnis aus Landwirten, Verbänden und Konsumenten gemeinsam für eine zukunftsfähige Agrarpolitik auf die Straße gingen.
Die landwirtschaftlichen Betriebe sollten die Bereitstellung ihrer Leistungen für das Gemeinwohl von der öffentlichen Hand direkt und nicht wie bisher über die Produkte bezahlt bekommen. Schätzungsweise 200 Euro pro Bundesbürger*in und Jahr würde es nach unseren Berechnungen kosten, wenn alle entsprechenden Leistungen und Maßnahmen der gesamten deutschen Landwirtschaft, nicht nur der ökologischen vergütet würden. Das wären durchschnittlich knapp 1.000 Euro pro Hektar, abhängig vom Nachhaltigkeitsgrad des einzelnen Betriebs. Die Methoden und Instrumente, wie diese Mehrwertleistungen der Landwirtschaft für Gemeinwohl und Nachhaltigkeit berechnet werden können, sind entwickelt und anwendungsbereit.
Eine solche Intervention des Staates hätte zur Folge, dass die Nahrungsmittel im Regal günstiger würden. Für die Kosten zum Schutz der Gemeingüter in der landwirtschaftlichen Produktion kämen nicht die Verbraucher*innen über den Produktpreis auf, sondern sie würden aus allgemeinen staatlichen Mitteln bezahlt, was eine breitere Finanzierungsbasis wäre. Der große Vorteil: Einkommensschwächere Haushalte könnten sich mehr hochwertiges Essen leisten und gleichzeitig würde die Produktion insgesamt nachhaltiger.
Um darüber hinaus die notwendige Agrarwende zu finanzieren, bräuchte es ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die aber alle ihre Zeit brauchen, bis sie wirksam werden. Zum Beispiel könnten Kredite an die Nachhaltigkeitsperformance der Unternehmen gebunden werden: Wer nachhaltig wirtschaftet, zahlt weniger Zinsen als die, die nicht nachhaltig arbeiten, also Risiken für sich und die Gesellschaft verursachen.
Mit neuen Regeln der betrieblichen Erfolgsrechnung, die bereits in Wissenschaft, Regulatorik und Praxis in Bearbeitung sind, könnte die Politik die Weichen für wirtschaftlichen Erfolg auf Nachhaltigkeit stellen. Betriebswirtschaftliche Effizienz dürfte dann nicht mehr zulasten der langfristigen Produktivität gehen. Die in Ausarbeitung befindlichen neuen Regeln zur Geschäftsberichterstattung auf EU-Ebene, wie die Taxonomie und die Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) sind die Vorboten einer solchen neuen Regulatorik in der Rechnungslegung.
Künftig sollen nach den Vorstellungen einiger Reformer aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sogar Investitionen in nachhaltiges Wirtschaften dem Betriebsvermögen zugeschrieben und nicht mehr als betriebliche Kosten veranschlagt werden. Damit wäre nachhaltiges, unternehmerisches Handeln im Wettbewerb nicht mehr benachteiligt. Wer dann nachweislich nicht in die nachhaltige Unternehmensführung investieren würde, müsste dafür Risikorückstellungen in der Bilanz vornehmen. Damit wäre ein neues Sustainable Performance Accounting geschaffen.
Richtig rechnen ist das Gebot der Stunde, Schäden zu vermeiden ist billiger, als bereits entstandene Schäden zu beheben. Die Zukunftskommission Landwirtschaft, die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat, trifft diese Feststellung in ihrem ersten Abschlussbericht ebenso wie viele Experten.
Nicht zuletzt die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, deren Neuausrichtung ab 2028 in den kommenden Jahren ausgearbeitet wird, wäre ein sinnvolles Instrument, um endlich den konsequenten Schritt zur vollständigen Leistungsvergütung zu machen, statt das Geld mit der Gießkanne auf die Fläche zu verteilen. Leistungen für den Schutz der Gemeingüter durch ökologisch nachhaltige und regenerative Nahrungsmittelproduktion müssen bezahlt werden, sonst können sie nicht erbracht werden. Die Logik entspricht doch unserem gesellschaftlich fest verankerten Leistungsdenken “Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“! Was spricht dagegen?
Christian Hiß, Gründer und Geschäftsführer der Regionalwert Leistungen GmbH, wo er sich seinem Lebensthema widmet, der bilanziellen Berücksichtigung sozialer und ökologischer Leistungen von landwirtschaftlichen Betrieben. Er hat selbst viele Jahre als Landwirt und Gärtner gearbeitet, bevor er 2006 in Freiburg die erste Regionalwert AG gründete. Später holte er sein Abitur nach und machte den Master of Social Banking and Social Finance, um sich mit einer erweiterten Form der Finanzbuchhaltung zu beschäftigen.