Veröffentlicht: 21.09.2023,
Letzte Aktualisierung: 28.05.2025

Bild: Imago/Sascha Fromm
Mal angenommen, man wäre aufrechter Demokrat, überzeugt von unseren Institutionen, einigermaßen solidarisch, vielleicht auch ein guter Christ – man könnte sich gruseln. Nicht nur dass die deutsche Mitte in einem bedenklichen Tempo politisch nach rechts abdriftet, auch Menschenfeindlichkeit, die Akzeptanz von politischer Gewalt und der Hang zu Verschwörungstheorien nehmen zu. So jedenfalls der Befund der neuesten Mitte-Studie („Die distanzierte Mitte“) der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Studienleiter Andreas Zick: „Die Mitte hat sich in Teilen auf Distanz zur Demokratie begeben. Sie ist nach rechts gerückt.“
Seit knapp 20 Jahren lässt die Stiftung (FES) alle zwei Jahre Forscher der Universität Bielefeld die sogenannte Mitte der Gesellschaft durchleuchten, ihre Sorgen, Ängste und Selbstverortung in der Gesellschaft. Für die FES-Verantwortlichen ein Stück Mahnungs- und Erinnerungskultur; denn auch der Nationalsozialismus sei in der Mitte der Gesellschaft entstanden und von ihr getragen worden. „Wenn die Mitte rechtsextreme Einstellungen teilt, dann steigt deren vermeintliche Legitimität“, heißt es in der vorliegenden, fast 430 Seiten starken Studie.

Auch diesmal wurden über 2.000 Teilnehmer wurden zu ihren Einstellungen befragt, mit und ohne Migrationsgeschichte; mit unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Hintergründen.
Zentrale Befunde der aktuellen Studie:
Ganz überraschend kommen die Befunde nicht, denn „Krisen sind für den Populismus und Extremismus gute Zeiten“, wie es in der Studie heißt, und Krisen gab es in den letzten Jahren reichlich.
Zugleich hat sich der Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren enorm gewandelt, wobei ein Teil der Veränderung auf eine Annäherung zwischen rechtsextremen Akteuren und der Mitte zurückgeht. Er habe sich im „Reichsbürger- und Selbstverwalter“-Milieu verankert, wie es in der Studie heißt. Er habe sich in bestimmten lokalen Räumen festgesetzt und dort seine Verbindungen in die Mitte gestärkt. Es gebe neue Allianzen zwischen Rechtsextremisten und Verängstigten und für Populismus Anfälligen. Sie besetzten zunehmend Räume in der Gesellschaft: Rechtsextreme, „Reichsbürger“ und „Querdenker“ seien in Elternvertretungen von Schulen und Kindergärten, in Sportvereine, Ehrenämter, zum Beispiel als Schöffen, in Feuerwehren, in den Natur- oder Katastrophenschutz eingesickert.

Ganz offensichtlich ist es der AfD gelungen, einen Teil des rechtsextremen Potenzials, das in den vergangenen Jahren im Nichtwählerbereich verschwunden war, an sich zu binden. Zum einen, weil der Nichtwähleranteil zuletzt zurückgegangen war. Zum anderen, weil sich das Segment der Nichtwähler verändert hat: „Nichtwähler sind nur noch zu sieben Prozent rechtsextrem“, sagt Zick.
Auffällig ist eine Trendumkehr: Während rechtsextreme Einstellungen unter Älteren (über 65 Jahren) eher zurückgehen, nehmen sie gleichzeitig bei Jüngeren (unter 34) eher zu. Verbunden ist dies bei den Jüngeren häufig mit einer gehörigen Portion Antisemitismus und Sozialdarwinismus. Insgesamt weisen zwölf Prozent der Jüngeren ein manifestes rechtsextremes Weltbild auf. Lange galt die Gewissheit, dass rechtsextreme Einstellungen unter Älteren verbreiteter sind als unter Jüngeren, womit nicht zuletzt auch die Annahme verbunden war, der Rechtsextremismus würde mutmaßlich die Zeit und Generationen nicht überdauern. Eine Fehleinschätzung – die für die Autoren die Frage aufwirft, ob und warum es empirisch eine Konzentration rechtsextremer Einstellungen in einer Altersgruppe gibt.
Vielen sei dabei gar nicht bewusst, dass sie rechtsextreme Einstellungen in sich trügen, sagen die Bielefelder Forscher. Klar sei aber, „dass es nicht demokratisch ist“, was sie da in den Interviews äußerten. Ganz offensichtlich ist der Rechtsextremismus salonfähig geworden. Zugenommen hätten bei den Telefoninterviews nämlich die Gespräche, in denen „der Rechtsextremismus laut und selbstbewusst vorgetragen wird“. Häufig jedenfalls nicht mehr verschämt und hinter vorgehaltener Hand.
Kein gutes Zeugnis bekommen ausgerechnet Fußballvereine ausgestellt. Mitglieder von Fußballvereinen seien „häufiger rassistisch eingestellt als befragte Mitglieder anderer Sportvereine und Befragte ohne Sportvereinsmitgliedschaft“. Zudem neigten die Mitglieder von Fußballclubs „signifikant häufiger als die Mitglieder anderer Sportvereine dazu, auch weitere marginalisiert Gruppen in der Gesellschaft herabzuwürdigen und auszugrenzen“, nämlich 14 zu 5 Prozent.