diesmal war es nicht Polen: Der EuGH hat sich anhand mehrerer rumänischer Rechtsstreitigkeiten – auch hier ging es um Justizfragen – mit der Frage beschäftigen müssen, ob nationales Verfassungsrecht europäisches Recht übertrumpfen könne. Nein, das geht nicht, entschieden die Luxemburger Richter. Zwar sei die Organisation der Justiz Kompetenz der Mitgliedstaaten, doch ob das Europarecht Anwendung finden müsse, sei darin nicht eingeschlossen. Das sitzt – und ist eine deutliche Botschaft an alle europäischen Verfassungsgerichte, auch das Bundesverfassungsgericht.
“Corona macht keine Weihnachtspause“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss an die Schaltkonferenz von Bund und Ländern gestern Abend. Ein Widerspruch zu den getroffenen Beschlüssen, denn sofortige Kontaktbeschränkungen, wie sie das RKI vor dem Treffen gefordert hatte, wird es nicht geben. Erst spätestens ab dem 28. Dezember sollen sich privat nur maximal zehn Personen treffen dürfen – das gilt auch für Geimpfte und Genesene.
An die im Oktober gefundene internationale Einigung auf ein System der Mindestbesteuerung erinnert sich Scholz – damals Bundesfinanzminister – gerne zurück. Sie gilt als sein politischer Erfolg, hatte er sie doch gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire angestoßen. Heute stellt die EU-Kommission ihre Pläne für die Umsetzung der globalen Mindeststeuer vor. Diese werden sich maßgeblich an den OECD-Vorgaben orientieren. Warum die Einnahmen aus der Mindestbesteuerung europäisches Streitpotenzial beinhalten, analysiert Falk Steiner.
Bereits gestern hatte die Kommission die neuen Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien (KUEBLL) vorgelegt. Sie stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten die Dekarbonisierung mithilfe von Subventionen anschieben dürfen. Was sich genau ändert und inwieweit die Kommission auf die vorausgegangene Kritik von Industrieverbänden und der Bundesregierung eingegangen ist, berichtet Till Hoppe.
Wie lassen sich große internationale Unternehmen effektiv dazu bewegen, angemessen Steuern zu bezahlen? Diese Frage bewegt die Gemüter seit Jahren. Und das nicht zuletzt in der Europäischen Union, in der einige Staaten mittels Steuergestaltungsmodellen unverhältnismäßig von Gewinnen der Firmen in anderen Ländern profitieren.
Beispiele für diesen innereuropäischen Wettbewerb waren die umstrittene Gewährung unternehmensspezifischer Steuervorteile in Luxemburg oder niedrige Steuersätze in Kombination mit vorteilhaften Firmenkonstruktionen wie dem berüchtigten “Double Irish with a Dutch Sandwich”. Mit derartiger Steuergestaltung konnten internationale Firmen ihre europäischen Gewinne um Teile ihrer Steuerlast befreien. Deutsche Unternehmen haben lange Zeit vor allem von der Möglichkeit rege Gebrauch gemacht, über Lizenzgebühren innerhalb ihres Firmengeflechts Gewinne aus Hochsteuerländern in Niedrigsteuerländer zu verschieben.
Derartigen Vorgehensweisen soll die Neuregelung nun einen Riegel vorschieben – und damit den europäischen Debatten um die sogenannte Digitalsteuer ebenfalls den Garaus machen. Frankreich, Spanien, Italien und Österreich hatten in den vergangenen Jahren unterschiedliche Varianten einer Besteuerung digitaler Umsätze eingeführt. Im Oktober hatten sie sich nach Verhandlungen mit den USA jedoch dazu bereit erklärt, im Rahmen des internationalen Steuerabkommens ihre speziellen Digitalsteuern auslaufen zu lassen und die Steuerlast daraus auf die dann anfallende Mindestbesteuerung anzurechnen.
Am Montag veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Details zur zweiten Säule ihres Modells für eine globale Mindestbesteuerung. Die erste Säule des OECD-Rahmens verlagert einige Rechte der Steuererhebung auf den Staat des Marktortes und soll eine adäquate Verteilung des Steueraufkommens zwischen den betreffenden Staaten sicherstellen.
Die zweite Säule behandelt vor allem die Frage, wie Bemessungsgrundlagen systematisch vereinheitlicht werden können. Denn nur wenn vergleichbar ermittelt wird, welche Umsätze wo erzielt werden und welche Unternehmensteile Steuern wo bezahlt haben, lässt sich verlässlich ermitteln, welcher effektiven Steuerlast ein Unternehmen unterliegt und ob es die Grenze der Mindestbesteuerung in einem Staat unterschreitet, so die zweite Säule des OECD-Rahmens.
Diese zweite Säule des OECD-Rahmens soll von allen Ländern, die die Mindestbesteuerung politisch mittragen, in nationale Vorschriften umgesetzt werden – im Fall Europas damit auch in die Regelwerke der Europäischen Union. Dem OECD-Vorschlag für die zweite Säule entsprechend sollen Unternehmen, deren Muttergesellschaft einen Umsatz vor Steuern größer als 750 Millionen erwirtschaftet, einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent unterliegen – mit einigen Ausnahmen, etwa für Pensionsfonds, Investmentfonds und Immobiliengesellschaften.
Sofern in einem Staat der Mindeststeuersatz der dort tätigen Tochtergesellschaften im Verhältnis zum Vorsteuerumsatz in Summe unterschritten wird, soll sodann eine ergänzende Steuer fällig werden. Diese sogenannte Top-Up-Tax soll im Marktortland abgeführt werden. Wie hoch das Steueraufkommen bei diesem vergleichsweise geringen Mindeststeuersatz – US-Finanzministerin Janet Yellen etwa hatte sich für mindestens 21 Prozent starkgemacht – tatsächlich sein wird, ist derzeit noch offen.
Eine direkte Auswirkung betrifft jedoch Unternehmen in Mitgliedstaaten wie Irland: Die Inselrepublik hat angekündigt, die Unternehmenssteuer auf den Handel mit Waren und auf Dienstleistungen von bislang 12,5 auf künftig eben jene 15 Prozent anzuheben. Dies ist eine Steuervermeidung der anderen Art: Die Top-Up-Tax würde dadurch in anderen Staaten wohl nicht fällig.
Anhand der Modellregeln für die zweite Säule liegt jetzt der detaillierte Rahmen vor, der nun durch die Nationalstaaten und die Europäische Union erfolgen muss und für den die oberste europäische Vertragshüterbehörde heute ihren Entwurf vorstellen wird.
Doch ein neuer Streitpunkt zeichnet sich bereits ab: Viele Mitgliedstaaten der EU rechnen bereits heute fest mit Einnahmen aus der Mindestbesteuerung ab 2023. Doch die EU-Kommission ist derzeit mit hoher Priorität auf der Suche nach eigenen Einnahmequellen – nicht zuletzt, um ab 2028 die 390 Milliarden Euro Schulden des EU-Corona-Wiederaufbaufonds bedienen zu können. Die weiteren 360 Milliarden Euro des Fonds sind als Darlehen an die Mitgliedstaaten ausgezahlt worden und müssen sukzessive von diesen zurückerstattet werden, wofür diese ihrerseits auf weitere Einnahme angewiesen sind.
Bislang verfügt die EU als solche jedoch nicht über nennenswerte eigene Einnahmen. Ein aus dem Berlaymont entfleuchter Entwurf der “nächsten Generation des EU-Budgets” enthielt dabei einen “ganzen Korb” voller Möglichkeiten. Neben Einnahmen aus dem ebenfalls noch offenen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM und dem CO₂-Zertifikatehandel ETS sieht der Entwurf gleich an erster Stelle den internationalen Rahmen zur Vermeidung von Gewinnverschiebung und zur Einführung einer Mindeststeuer vor. Die Begründung, so klar wie einfach: “Diese Initiativen erfordern EU-Handeln, und konstituieren damit eine sachgemäße Grundlage für eigene EU-Ressourcen”.
Einerseits erweitert die EU-Kommission den Spielraum der Mitgliedstaaten, den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft mit staatlichen Hilfen voranzutreiben. Zugleich beschränken die Wettbewerbshüter aber deren Möglichkeiten, energieintensive Branchen zu entlasten. Das dürfte insbesondere die deutsche Industrie treffen, die wegen der Belastung mit Steuern, Abgaben und Umlagen über im europäischen Vergleich hohe Strompreise klagt.
Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager legte gestern die neuen Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien (KUEBLL) vor. Diese stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die Regierungen die Dekarbonisierung mithilfe von Subventionen anschieben dürfen. Sie werden Mitte Januar in Kraft treten und die bisherigen Leitlinien aus dem Jahr 2014 ersetzen.
Aus Sicht der deutschen Industrie besonders heikel sind die Bestimmungen, die regeln, unter welchen Bedingungen energieintensive Sektoren von Umlagen zur Finanzierung erneuerbarer Energien befreit werden dürfen. Die bisherige Liste umfasste 221 Sektoren, die als abwanderungsgefährdet betrachtet wurden und daher etwa von der EEG-Umlage ausgenommen werden durften. Im Zuge der Neufassung hat die Kommission diese Liste deutlich enger gefasst: Sie umfasst noch 116 Sektoren, von denen wiederum 91 als besonders gefährdet gelten.
Ein erster Entwurf aus dem Sommer hatte sogar noch deutlich stärkere Kürzungen vorgesehen – und sowohl Industrieverbände als auch Bundesregierung in Alarmstimmung versetzt (Europe.Table berichtete). Zuletzt hatte sich bereits abgezeichnet, dass die Kommission auf die Kritik reagieren würde (Europe.Table berichtete). Vestager sagte bei der Vorstellung der neuen Leitlinien nun, es habe “viel Hin und Her” in dieser Frage gegeben. Man habe zwar auf das zahlreiche Feedback reagiert, energieintensive Betriebe bräuchten aber auch Anreize für die Dekarbonisierung.
Nach den neuen Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien kann ein Sektor als besonders abwanderungsgefährdet von der Umlage befreit werden, wenn dieser eine Handelsintensität und eine Stromintensität von jeweils mindestens fünf Prozent aufweist. Die Multiplikation der beiden Werte muss mindestens zwei Prozent ergeben. Als “gefährdet” gelten Branchen, bei denen dieser Faktor noch über 0,6 Prozent liegt.
Besonders gefährdete Sektoren müssen aber mindestens 15 Prozent der Umlage selbst tragen, bei den übrigen liegt die Schwelle mit 25 Prozent etwas höher. Wenn dies die Unternehmen überfordern würde, können die Regierungen die Kostenbeteiligung alternativ auf 0,5 Prozent der Bruttowertschöpfung begrenzen. Dies war eine Forderung, die etwa der DIHK im Sommer erhoben hatte.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) reagierte daher erleichtert. “Die Kommission hat sich bei den endgültigen Beihilfeleitlinien im Vergleich zu Entwurfsfassungen in die richtige Richtung bewegt”, sagte Jörg Rothermel, Abteilungsleiter Energie und Klimaschutz. Besonders zu begrüßen sei, dass Industriegase Beihilfe erhalten könnten. Andernfalls wäre der von der Politik gewünschte Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft “massiv behindert oder sogar unmöglich gemacht” worden, so Rothermel.
Kaum noch möglich sollen Subventionen für fossile Energieträger wie Kohle oder Diesel sein. Für diese “schließt sich die Tür”, sagte Vestager. Erdgas sei ein zeitlich begrenzter Sonderfall, denn es diene “als Brücke”.
Damit die Regierungen Gaskraftwerke weiter fördern können, müssen diese aber einige Kriterien erfüllen. Sie dürfen etwa keine Investitionen in saubere Energieträger ersetzen. Zudem müssen Anlagen auf Wasserstoff umgerüstet werden können oder über die Technologie verfügen, um das anfallende Kohlendioxid abscheiden zu können (CCS/CCU). In ärmeren Mitgliedsländern können Gaskraftwerke auch dann gefördert werden, wenn dafür klimaschädlichere Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Zu Beihilfen für Atomkraftwerke schweigen die Leitlinien hingegen – diese werden laut Vestager im Einzelfall auf Basis der EU-Verträge geprüft.
Zudem dürfen die Mitgliedstaaten etwa mit Flüssigerdgas (LNG) betriebene Schiffe oder Lkw mitsamt Ladeinfrastruktur fördern, weil dort noch keine sauberen Alternativen verfügbar sind. Saubere Mobilität zählt zu den Bereichen, die neu unter die Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien fallen. Zudem will die Kommission künftig auch Programme zur Förderung von Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz oder Biodiversität genehmigen.
Darüber hinaus werden neue Instrumente berücksichtigt, wie CO₂-Differenzverträge. Die Kommission erkläre aber nur in einer Fußnote, wie sie sich diese Carbon Contracts for Difference vorstelle, kritisiert Rothermel. “Da hätten wir uns mehr Orientierung gewünscht.”
Um die Kosten für die Steuerzahler zu begrenzen, setzt die Kommission noch stärker als bisher auf wettbewerbliche Ausschreibungen bei der Vergabe. Die Kritik, dies bedeute zusätzlichen Aufwand für Behörden wie Unternehmen, weist Vestager zurück: Es gehe nicht um zusätzliche Bürokratie, sondern um das Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Kommission argumentiert, die Auktionspraxis habe etwa bei den erneuerbaren Energien die Kosten stark gesenkt.
Als weitere Vorkehrung gegen eine übermäßige Förderung setzt die Behörde auf öffentliche Konsultationen: Die Mitgliedstaaten sollen künftig erst andere Marktteilnehmer befragen, bevor sie eine Fördermaßnahme der Kommission zur Genehmigung vorlegen. Experten kritisieren, auch dies bedeute zusätzlichen Aufwand. Die Kommission hält dagegen, die Verpflichtung gelte nur für Projekte mit einem Investitionsvolumen von mehr als 100 Millionen Euro im Jahr und biete zusätzliche Rechtssicherheit. In Kraft treten soll die Maßnahme ab Juli 2023.
Die EU-Kommission hat eine Machbarkeitsstudie für ein zentrales europäisches Vermögensregister vergeben. Der Auftrag, der mit bis zu 400.000 Euro dotiert ist, wurde an drei Unternehmen erteilt, darunter das Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. Dies geht aus einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vom 13. Dezember hervor.
Die Ausschreibung bedeute jedoch nicht, dass die EU-Kommission ein solches Vermögensregister auch tatsächlich einführen wolle, erklärte ein Kommissions-Sprecher. Man folge lediglich einem Wunsch des Europaparlaments. Laut Ausschreibungstext soll untersucht werden, “wie aus verschiedenen Quellen des Vermögenseigentums (zum Beispiel Landregister, Unternehmensregister, Trust- und Stiftungsregister, zentrale Verwahrstellen von Wertpapieren) verfügbare Informationen gesammelt und miteinander verknüpft werden können”.
Geprüft werden soll auch, ob “Daten über das Eigentum an anderen Vermögenswerten wie Kryptowährungen, Kunstwerke, Immobilien und Gold” in das Register aufgenommen werden können. Ziel der Erfassung sei es, die Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu erleichtern. Bei der Veröffentlichung der Ausschreibung im Juli hatte es zahlreiche Nachfragen und Proteste gegeben. Die EU-Kommission wolle “den finanziell gläsernen Bürger” schaffen, empörte sich der CSU-Finanzexperte und Europaabgeordnete Markus Ferber.
Die Aufregung legte sich jedoch, als die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness erklärte, sie halte ein Vermögensregister nicht für nötig. Es sei auch nicht Teil des aktuellen Arbeitsprogramms ihrer Behörde, betonte McGuinness in einem Brief vom 6. September. Dass die Kommission die Vorbereitungen nun dennoch vorantreibt und erste Aufträge vergibt, ärgert Ferber. Es gebe “keinen Grund, knapp 400.000 Euro für eine Studie aufzuwenden, deren Ergebnisse man ohnehin nicht weiterverfolgen will.”
Zustimmung signalisiert dagegen Rasmus Andresen von den Grünen. “Ohne Daten werden wir den Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung nicht gewinnen”, sagte Andresen, der im Haushaltsausschuss des Parlaments mitarbeitet. “Wir Grüne unterstützen deshalb die Einführung eines europäischen Vermögensregisters. Es ist richtig, wenn die EU-Kommission in einem ersten Schritt untersucht, wie wir mehr Steuertransparenz erreichen können.”
Wie es danach weitergeht, ist jedoch völlig offen. Bisher hat die EU im Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung wenig erreicht, wie die zahlreichen Skandale – von LuxLeaks bis FinCEN Files – zeigen. Auch in Deutschland gibt es noch großen Nachholbedarf. ebo
Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) Hoffnung darauf geäußert, dass der Digital Services Act den Anbieter Telegram mit Sitz in Dubai zur Kooperation bewegen könne. Dieser würde in Zukunft helfen. Buschmann folgt zudem der Rechtsauffassung der Vorgängerregierung, dass Telegram mit seinen offenen Kanälen nicht nur ein Over-the-Top-Kommunikationsdienst, sondern mit seinen offenen Kanälen auch eine Plattform im Sinne des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sei.
Er treibe die Telegram-Verfahren nach dem NetzDG weiter voran, so Buschmann. Aber eine europäische Lösung sei wirksamer: “Ein gemeinsames Vorgehen macht auf die Betreiber von Telegram mehr Eindruck, als wenn das jedes Land allein versucht.” Ein solches gemeinsames Vorgehen habe auch im Kampf gegen IS-Propaganda bereits geholfen.
Der Bundesjustizminister setzt auch auf wirtschaftlichen Druck: “Telegram will zudem mit Werbung Geld verdienen. Die Betreiber dürften also ein Interesse daran haben, weiterhin Zugang zum zahlungskräftigen europäischen Markt zu haben.” Allerdings würden Hass und Hetze nicht dadurch beendet, dass Telegram alle Regeln durchsetze. Nutzer würden sich dann andere Plattformen und Wege suchen.
Kritisch äußerte sich Buschmann zur Vorratsdatenspeicherung, zu der ein weiteres Urteil des Europäischen Gerichtshofes noch aussteht. Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem zweiten großen Beschluss, der die Maßnahme in der alten Form für unvereinbar mit dem Europarecht erklärte, kündigte Buschmann an, sie nun endgültig aus dem Gesetz streichen zu wollen. Der neue Bundesjustizminister will stattdessen beim Verdacht schwerer Straftaten auf das Quick-Freeze-Konzept setzen: “Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können.” fst
Der gemeinnützige Verein Digitalcourage hat am Dienstag Klage gegen die seit dem 01.08.2021 geltende Speicherpflicht für Fingerabdrücke im Personalausweis eingereicht und den Instanzenweg eingeschlagen. Die Speicherpflicht basiert auf einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2019.
Ziel der EU-Verordnung ist es, biometrische Merkmale zu nutzen, um den Personalausweis auf seine Echtheit zu überprüfen und die Identität des Inhabers anhand direkt verfügbarer, abgleichbarer Merkmale zu kontrollieren.
Zwar könnten Behörden schlechte Fälschungen mithilfe der gespeicherten Fingerabdrücke im Personalausweis womöglich leichter erkennen, aber sie könnten dadurch eine Fälschung nicht per se ausschließen, so die Argumentation des Vereins. Zudem gebe es weniger invasive Mittel, um das Fälschen von Ausweisdokumenten zu erschweren, etwa komplexere Druckverfahren oder 3D-Hologramme auf dem Dokument.
“Biometrischen Daten sind hochsensible persönliche Informationen. Sie dürfen nicht einfach als Wetteinsatz benutzt werden im Hase-und-Igel-Rennen zwischen Sicherheitsbehörden und professionellen Fälschungswerkstätten”, begründet Vereinsmitglied Julia Witte die Klage. Laut Digitalcourage hätte die Speicherpflicht für Fingerabdrücke schon aufgrund von formellen Fehlern nicht in Kraft treten dürfen. Zudem sei die Pflicht mit den Grundrechten unvereinbar, weil sie unverhältnismäßig, ungeeignet und nicht erforderlich sei.
Digitalcourage schätzt, dass die Speicherpflicht rund 85 Prozent der EU-Einwohner:innen betreffe. Demgegenüber stünden jedoch nur rund 40.000 gefälschte Personalausweise in den Jahren 2013-2017. koj
Der Corona-Impfpass der Europäischen Union soll ohne Booster neun Monate gültig sein. Diese Regelung ist nach Beschluss der EU-Kommission für die 27 Mitgliedsstaaten ab dem 1. Februar verbindlich, wie die Behörde am Dienstag mitteilte. Nach einer Auffrischimpfung werde die Gültigkeit bislang unbegrenzt verlängert, da es noch keine ausreichenden Informationen über die Dauer des Schutzes durch die Booster gebe.
Damit ist die Kommission dem Auftrag der Staats- und Regierungschefs beim vergangenen EU-Gipfel nachgekommen (Europe.Table berichtete), eine verbindliche Regelung für die Gültigkeitsdauer der EU-Impfzertifikate zu treffen. Zuvor waren einige Mitgliedstaaten in der Frage vorgeprescht, wodurch ein unkoordiniertes Vorgehen drohte.
Die Regelung ersetzt eine unverbindliche Empfehlung der Kommission vom November und gilt nur für Reisen in der EU. Bei einer Verschärfung der Lage können die EU-Mitgliedstaaten aber zusätzliche Auflagen wie eine Test- oder Quarantäne-Pflicht verlangen. Die Gültigkeitsdauer des EU-Impfzertifikats für den Zugang zu Veranstaltungen oder Indoor-Aktivitäten können die Mitgliedstaaten selbst festlegen. Ein Veto der EU-Staaten gegen den Beschluss gilt als unwahrscheinlich. koj/rtr
Mitten im Winter hat Russland seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Pipeline Jamal-Europa gestoppt. Nachdem die Lieferung in den vergangenen Tagen bereits stark abgenommen hatte und für kurze Zeit komplett stillstand, wurde das Gas am Dienstag in die entgegengesetzte Richtung gepumpt – von Deutschland nach Polen. Wie der deutsche Netzwerk-Betreiber Gascade erklärte, werde das Gas von der Verdichterstation Mallnow in Brandenburg nach Osten geleitet.
Russland erklärte, die Umkehrung der Gaslieferung sei eine rein kommerzielle Entscheidung und habe nichts mit Politik und den Streitigkeiten um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu tun. Aus Polen hieß es, der russische Gaslieferant Gazprom erfülle seine vertraglichen Verpflichtungen. Die nach Osten gerichteten Lieferungen seien von Polen beauftragt worden. Von Gazprom war zunächst kein Kommentar zu erhalten.
Schon in den vergangenen Monaten kam über die Jamal-Pipeline weniger Gas nach Deutschland als üblich. Anfang November war das Gas schon einmal für ein paar Tage in die entgegengesetzte Richtung gepumpt worden. Die Gaspipeline Jamal-Europa führt von der Jamal-Halbinsel in Sibirien durch Russland, Belarus und Polen nach Deutschland. Sie wurde 1999 fertiggestellt und wird seit Mitte der 2000er Jahre mit einer Kapazität von 33 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betrieben. rtr
Die EU-Wettbewerbshüter haben grünes Licht für die Übernahme von Nuance durch den US-Technologiekonzern Microsoft gegeben. Die Aufsicht knüpfte auch keine Bedingungen an die Genehmigung. Eine Prüfung habe ergeben, dass es durch das Vorhaben nicht zu einer deutlichen Einschränkung des Wettbewerbs kommen werde, teilte die Kommission am Dienstag mit.
Microsoft hatte im April angekündigt, den auf den Gesundheitssektor fokussierten KI-Spezialisten für fast 16 Milliarden Dollar kaufen zu wollen. Nuance ist vor allem für seine Technologie zur Spracherkennung bekannt, auf deren Basis unter anderem Apple seinen Sprachassistenten Siri aufgebaut hat.
Mit dem Zukauf will Microsoft sein speziell auf den Gesundheitssektor ausgerichtetes Cloud-Angebot stärken. Nuance hat sich zum Ziel gesetzt, mithilfe von KI-basierter Spracherkennung die medizinische Dokumentation neu zu gestalten und dafür auch eine Cloud-Lösung entwickelt. Ärzte sollen auf diese Art Fälle zeit- und ortsunabhängig erfassen können. Bereits jetzt nutzen laut Microsoft 77 Prozent aller US-Kliniken Software von Nuance. rtr
In den USA schaukelt sich kurz vor der geplanten Einführung von 5G-Mobilfunk der Streit über Risiken für die Flugsicherheit hoch. Die beiden Flugzeughersteller Boeing und Airbus forderten die Regierung auf, die für Anfang Januar geplante Einführung von 5G-Mobilfunk im C-Band-Spektrum von AT&T und Verizon wegen Sicherheitsbedenken zu verschieben. “5G-Interferenzen könnten die Sicherheit des Flugbetriebs beeinträchtigen und enorme negative Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie haben”, heißt es in einem Brief der Unternehmen an das US-Verkehrsministerium, das Reuters vorlag.
Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) untersucht schon länger, ob 5G die in der Luftfahrt genutzten Funkhöhenmesser stören kann. Die 5G-Frequenzbänder in Europa liegen nicht so nah wie das in den USA geplante an dem von Flugzeugen genutzten Frequenzband. Bisher seien in Europa keine Vorfälle bekannt oder aus vorliegenden technischen Daten von Flugzeug- und Ausrüstungsherstellern abzuleiten, erklärte eine EASA-Sprecherin.
Gleichwohl werde die Situation weiter genau beobachtet. Die Behörde tausche sich zudem mit der US-Luftsicherheitsbehörde FAA über deren Bedenken aus. Auch die Deutsche Flugsicherung (DFS) erklärte, bisher sei es nicht zu einer Störung der Bordelektronik gekommen.
Die FAA und US-Airlines hatten sich ebenfalls schon besorgt über mögliche Interferenzen von 5G mit empfindlicher Flugzeugelektronik wie Funkhöhenmessern geäußert. Die Abstandsmessung sorgt für eine sichere Landung. Der Mobilfunkverband CTIA erklärte, 5G sei sicher. Er warf der Luftfahrtindustrie vor, Angst zu schüren und Fakten zu verdrehen.
Zuständig für die Platzierung von Mobilfunkstationen in der Nähe von Flughäfen seien die Mitgliedstaaten in der Europäischen Union, erklärte die EASA. Verschiedene Länder nutzten so wie in den USA geplant das C-Band. Die EASA sei mit den betreffenden Staaten und auch mit dem europäischen Pendant der Bundesnetzagentur CEPT im Gespräch. Die CEPT arbeite an einer Studie zum sicheren parallelen Einsatz von 5G und Funkhöhenmessern. rtr

Über einen Monat nach der Klimakonferenz in Glasgow sind die Spannungen über den Wortlaut des Abkommens über den Kohleausstieg allmählich verflogen. Doch der Klimagipfel wird uns möglicherweise noch aus anderen Gründen im Gedächtnis bleiben. Denn falls in den kommenden Monaten keine raschen Maßnahmen ergriffen werden, könnte COP26 als der Moment in die Geschichte eingehen, an dem der globale Süden aufgegeben hat, den Versprechungen der Industrieländer zur Klimafinanzierung Glauben zu schenken.
In Glasgow wurde deutlich, dass die im Pariser Klimaabkommen gemachte Zusage, die Industrieländer würden bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für eine klimawandelresiliente Entwicklung bereitstellen, von Anfang an völlig unrealistisch war: Der Bedarf an Anpassungsfinanzierung wird vom UN-Umweltprogramm auf das Fünffache des derzeitigen Niveaus geschätzt.
Falls die aus dieser Tatsache resultierende Vertrauenslücke zwischen Entwicklungs- und Industrieländern nicht geschlossen wird, sehen die Aussichten für COP27 in Sharm El Sheikh und weitere Kilmakonferenzen düster aus. Der ohnehin zerbrechliche Konsens im Rahmen des COP-Prozesses könnte sich gar völlig auflösen, wenn die Volkswirtschaften, die sich früher und schneller industrialisiert haben, nicht akzeptieren, dass es ungerecht ist, jene Länder nicht zu unterstützen, die unter den Folgen der uneingeschränkten Nutzung fossiler Brennstoffe in den letzten Jahrzehnten leiden.
Es ist unwahrscheinlich, dass die USA dieses Vertrauen wieder herstellen können. Grund sind die tiefen politischen Gräben mit Blick auf Klimaschutz und Dekarbonisierung sowie der gigantische Umfang von Joe Bidens Gesetzentwurf “Build Back Better”. Da in Brüssel und anderen großen EU-Hauptstädten das Gefühl vorherrscht, dass die Europäer:innen bereits einen weitaus größeren Beitrag zur Klimafinanzierung geleistet haben als ihre transatlantischen Partner, ist es aber leider auch unwahrscheinlich, dass Europa hier die Initiative ergreift.
Dennoch könnte es die EU hinbekommen, die Lage zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu entspannen. Dazu bedarf es jedoch sowohl eines umfassenderen Verständnisses der Bedeutung von Klimaunterstützung als auch einen stärker interessengeleiteten Ansatz.
Entscheidend ist, ein breites Spektrum von kohlenstofffreien Technologien zu schaffen und die entsprechende Infrastruktur schnell zu entwickeln und einzuführen, um den Klimawandel zu verlangsamen. Dies gilt insbesondere für den globalen Süden. Reiche Länder – und vor allem diejenigen, die beim Aufbau von Technologiekapazitäten führend sind – werden den globalen Fortschritt behindern, wenn sie die geistigen Eigentumsrechte an grüner Technologie monopolisieren und zugleich einen CO₂-Grenzausgleich (CBAM) einführen. Eine rasche und wirksame Einführung solcher Technologien auf globaler Ebene würde hingegen die Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels insgesamt stärken und den Ländern, die jene Technologien entwickeln, wirtschaftliche Vorteile bringen.
Die EU sollte sich dafür entscheiden, in führender Rolle und in Partnerschaft mit dem globalen Süden Kapazitäten für grüne Technologien aufzubauen. Dies sollte auch die Übernahme der Entwicklungskosten für einige Technologien beinhalten. Und die EU könnte außerdem dazu beitragen, den grünen Wandel in einer Weise zu beschleunigen, die den eigenen Bedarf deckt und gleichzeitig Industrien für Greentech im globalen Süden aufbaut. Obwohl es einen harten globalen Wettbewerb um umweltfreundliche Technologien gibt, spielen europäische Unternehmen noch immer eine führende Rolle in Bereichen wie Windkraft oder Wasserstoff- und Stromnetztechnologien – einschließlich der Ladetechnik für Elektrofahrzeuge.
Wir sollten aber auch unsere gegenseitige Abhängigkeit anerkennen. Die EU ist sowohl bei Rohstoffen als auch bei Innovationen und Kapazitäten auf Beziehungen zu Drittländern angewiesen. Daher sind Forschung und Entwicklung sowie eine Industriepolitik, die die Entwicklung kohlenstoffarmer Technologien im globalen Süden fördern, ein Gewinn sowohl für die Dekarbonisierung der EU als auch für die Partnerländer und deren wirtschaftliche Entwicklung.
Die kürzlich angekündigte EU-Infrastruktur-Initiative “Global Gateway” ist eine vielversprechende grüne Alternative zu Chinas “Neuer Seidenstraße” – die aber angemessen finanziert werden muss, auch mithilfe des Kapitals der Europäischen Investitionsbank. Die EU sollte stärker in Ko-Innovationsprogramme investieren und sicherstellen, dass grüne Technologien, die mit öffentlicher Unterstützung entwickelt wurden, auch denjenigen zur Verfügung stehen, die nicht über das geistige Eigentum verfügen.
Zu diesem Zweck könnte die EU einen “Fonds für Ko-Innovation und Verbreitung grüner Technologien” einrichten, der zum Teil aus dem Programm “Globales Europa” und zum Teil aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems und dem CBAM finanziert wird. Ein weiterer Schwerpunkt der Bemühungen sollte die Mobilisierung privater Investitionen in diesem Bereich sein. Die EU sollte sich auch bemühen, den Stillstand bei den multilateralen Verhandlungen über den Transfer grüner Technologien zu überwinden, indem sie innerhalb der WTO einen konstruktiveren Ansatz in Bezug auf die Rechte an geistigem Eigentum verfolgt.
Neue Green-Tech-Partnerschaften können die Klimafinanzierung nicht ersetzen, doch können sie dazu beitragen, guten Willen zu zeigen und die in Glasgow verlorenen gegangene Glaubwürdigkeit der Industrieländer bei den Klimaverhandlungen mit dem globalen Süden wiederherzustellen. Da Europa dadurch auch seine eigene Dekarbonisierung fördert und es europäischen Unternehmen ermöglicht, wettbewerbsfähig zu bleiben, während sich ihre Abhängigkeiten verlagern, scheint dies eine sinnvolle Strategie zu sein.
diesmal war es nicht Polen: Der EuGH hat sich anhand mehrerer rumänischer Rechtsstreitigkeiten – auch hier ging es um Justizfragen – mit der Frage beschäftigen müssen, ob nationales Verfassungsrecht europäisches Recht übertrumpfen könne. Nein, das geht nicht, entschieden die Luxemburger Richter. Zwar sei die Organisation der Justiz Kompetenz der Mitgliedstaaten, doch ob das Europarecht Anwendung finden müsse, sei darin nicht eingeschlossen. Das sitzt – und ist eine deutliche Botschaft an alle europäischen Verfassungsgerichte, auch das Bundesverfassungsgericht.
“Corona macht keine Weihnachtspause“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss an die Schaltkonferenz von Bund und Ländern gestern Abend. Ein Widerspruch zu den getroffenen Beschlüssen, denn sofortige Kontaktbeschränkungen, wie sie das RKI vor dem Treffen gefordert hatte, wird es nicht geben. Erst spätestens ab dem 28. Dezember sollen sich privat nur maximal zehn Personen treffen dürfen – das gilt auch für Geimpfte und Genesene.
An die im Oktober gefundene internationale Einigung auf ein System der Mindestbesteuerung erinnert sich Scholz – damals Bundesfinanzminister – gerne zurück. Sie gilt als sein politischer Erfolg, hatte er sie doch gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire angestoßen. Heute stellt die EU-Kommission ihre Pläne für die Umsetzung der globalen Mindeststeuer vor. Diese werden sich maßgeblich an den OECD-Vorgaben orientieren. Warum die Einnahmen aus der Mindestbesteuerung europäisches Streitpotenzial beinhalten, analysiert Falk Steiner.
Bereits gestern hatte die Kommission die neuen Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien (KUEBLL) vorgelegt. Sie stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten die Dekarbonisierung mithilfe von Subventionen anschieben dürfen. Was sich genau ändert und inwieweit die Kommission auf die vorausgegangene Kritik von Industrieverbänden und der Bundesregierung eingegangen ist, berichtet Till Hoppe.
Wie lassen sich große internationale Unternehmen effektiv dazu bewegen, angemessen Steuern zu bezahlen? Diese Frage bewegt die Gemüter seit Jahren. Und das nicht zuletzt in der Europäischen Union, in der einige Staaten mittels Steuergestaltungsmodellen unverhältnismäßig von Gewinnen der Firmen in anderen Ländern profitieren.
Beispiele für diesen innereuropäischen Wettbewerb waren die umstrittene Gewährung unternehmensspezifischer Steuervorteile in Luxemburg oder niedrige Steuersätze in Kombination mit vorteilhaften Firmenkonstruktionen wie dem berüchtigten “Double Irish with a Dutch Sandwich”. Mit derartiger Steuergestaltung konnten internationale Firmen ihre europäischen Gewinne um Teile ihrer Steuerlast befreien. Deutsche Unternehmen haben lange Zeit vor allem von der Möglichkeit rege Gebrauch gemacht, über Lizenzgebühren innerhalb ihres Firmengeflechts Gewinne aus Hochsteuerländern in Niedrigsteuerländer zu verschieben.
Derartigen Vorgehensweisen soll die Neuregelung nun einen Riegel vorschieben – und damit den europäischen Debatten um die sogenannte Digitalsteuer ebenfalls den Garaus machen. Frankreich, Spanien, Italien und Österreich hatten in den vergangenen Jahren unterschiedliche Varianten einer Besteuerung digitaler Umsätze eingeführt. Im Oktober hatten sie sich nach Verhandlungen mit den USA jedoch dazu bereit erklärt, im Rahmen des internationalen Steuerabkommens ihre speziellen Digitalsteuern auslaufen zu lassen und die Steuerlast daraus auf die dann anfallende Mindestbesteuerung anzurechnen.
Am Montag veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Details zur zweiten Säule ihres Modells für eine globale Mindestbesteuerung. Die erste Säule des OECD-Rahmens verlagert einige Rechte der Steuererhebung auf den Staat des Marktortes und soll eine adäquate Verteilung des Steueraufkommens zwischen den betreffenden Staaten sicherstellen.
Die zweite Säule behandelt vor allem die Frage, wie Bemessungsgrundlagen systematisch vereinheitlicht werden können. Denn nur wenn vergleichbar ermittelt wird, welche Umsätze wo erzielt werden und welche Unternehmensteile Steuern wo bezahlt haben, lässt sich verlässlich ermitteln, welcher effektiven Steuerlast ein Unternehmen unterliegt und ob es die Grenze der Mindestbesteuerung in einem Staat unterschreitet, so die zweite Säule des OECD-Rahmens.
Diese zweite Säule des OECD-Rahmens soll von allen Ländern, die die Mindestbesteuerung politisch mittragen, in nationale Vorschriften umgesetzt werden – im Fall Europas damit auch in die Regelwerke der Europäischen Union. Dem OECD-Vorschlag für die zweite Säule entsprechend sollen Unternehmen, deren Muttergesellschaft einen Umsatz vor Steuern größer als 750 Millionen erwirtschaftet, einem Mindeststeuersatz von 15 Prozent unterliegen – mit einigen Ausnahmen, etwa für Pensionsfonds, Investmentfonds und Immobiliengesellschaften.
Sofern in einem Staat der Mindeststeuersatz der dort tätigen Tochtergesellschaften im Verhältnis zum Vorsteuerumsatz in Summe unterschritten wird, soll sodann eine ergänzende Steuer fällig werden. Diese sogenannte Top-Up-Tax soll im Marktortland abgeführt werden. Wie hoch das Steueraufkommen bei diesem vergleichsweise geringen Mindeststeuersatz – US-Finanzministerin Janet Yellen etwa hatte sich für mindestens 21 Prozent starkgemacht – tatsächlich sein wird, ist derzeit noch offen.
Eine direkte Auswirkung betrifft jedoch Unternehmen in Mitgliedstaaten wie Irland: Die Inselrepublik hat angekündigt, die Unternehmenssteuer auf den Handel mit Waren und auf Dienstleistungen von bislang 12,5 auf künftig eben jene 15 Prozent anzuheben. Dies ist eine Steuervermeidung der anderen Art: Die Top-Up-Tax würde dadurch in anderen Staaten wohl nicht fällig.
Anhand der Modellregeln für die zweite Säule liegt jetzt der detaillierte Rahmen vor, der nun durch die Nationalstaaten und die Europäische Union erfolgen muss und für den die oberste europäische Vertragshüterbehörde heute ihren Entwurf vorstellen wird.
Doch ein neuer Streitpunkt zeichnet sich bereits ab: Viele Mitgliedstaaten der EU rechnen bereits heute fest mit Einnahmen aus der Mindestbesteuerung ab 2023. Doch die EU-Kommission ist derzeit mit hoher Priorität auf der Suche nach eigenen Einnahmequellen – nicht zuletzt, um ab 2028 die 390 Milliarden Euro Schulden des EU-Corona-Wiederaufbaufonds bedienen zu können. Die weiteren 360 Milliarden Euro des Fonds sind als Darlehen an die Mitgliedstaaten ausgezahlt worden und müssen sukzessive von diesen zurückerstattet werden, wofür diese ihrerseits auf weitere Einnahme angewiesen sind.
Bislang verfügt die EU als solche jedoch nicht über nennenswerte eigene Einnahmen. Ein aus dem Berlaymont entfleuchter Entwurf der “nächsten Generation des EU-Budgets” enthielt dabei einen “ganzen Korb” voller Möglichkeiten. Neben Einnahmen aus dem ebenfalls noch offenen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM und dem CO₂-Zertifikatehandel ETS sieht der Entwurf gleich an erster Stelle den internationalen Rahmen zur Vermeidung von Gewinnverschiebung und zur Einführung einer Mindeststeuer vor. Die Begründung, so klar wie einfach: “Diese Initiativen erfordern EU-Handeln, und konstituieren damit eine sachgemäße Grundlage für eigene EU-Ressourcen”.
Einerseits erweitert die EU-Kommission den Spielraum der Mitgliedstaaten, den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft mit staatlichen Hilfen voranzutreiben. Zugleich beschränken die Wettbewerbshüter aber deren Möglichkeiten, energieintensive Branchen zu entlasten. Das dürfte insbesondere die deutsche Industrie treffen, die wegen der Belastung mit Steuern, Abgaben und Umlagen über im europäischen Vergleich hohe Strompreise klagt.
Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager legte gestern die neuen Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien (KUEBLL) vor. Diese stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die Regierungen die Dekarbonisierung mithilfe von Subventionen anschieben dürfen. Sie werden Mitte Januar in Kraft treten und die bisherigen Leitlinien aus dem Jahr 2014 ersetzen.
Aus Sicht der deutschen Industrie besonders heikel sind die Bestimmungen, die regeln, unter welchen Bedingungen energieintensive Sektoren von Umlagen zur Finanzierung erneuerbarer Energien befreit werden dürfen. Die bisherige Liste umfasste 221 Sektoren, die als abwanderungsgefährdet betrachtet wurden und daher etwa von der EEG-Umlage ausgenommen werden durften. Im Zuge der Neufassung hat die Kommission diese Liste deutlich enger gefasst: Sie umfasst noch 116 Sektoren, von denen wiederum 91 als besonders gefährdet gelten.
Ein erster Entwurf aus dem Sommer hatte sogar noch deutlich stärkere Kürzungen vorgesehen – und sowohl Industrieverbände als auch Bundesregierung in Alarmstimmung versetzt (Europe.Table berichtete). Zuletzt hatte sich bereits abgezeichnet, dass die Kommission auf die Kritik reagieren würde (Europe.Table berichtete). Vestager sagte bei der Vorstellung der neuen Leitlinien nun, es habe “viel Hin und Her” in dieser Frage gegeben. Man habe zwar auf das zahlreiche Feedback reagiert, energieintensive Betriebe bräuchten aber auch Anreize für die Dekarbonisierung.
Nach den neuen Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien kann ein Sektor als besonders abwanderungsgefährdet von der Umlage befreit werden, wenn dieser eine Handelsintensität und eine Stromintensität von jeweils mindestens fünf Prozent aufweist. Die Multiplikation der beiden Werte muss mindestens zwei Prozent ergeben. Als “gefährdet” gelten Branchen, bei denen dieser Faktor noch über 0,6 Prozent liegt.
Besonders gefährdete Sektoren müssen aber mindestens 15 Prozent der Umlage selbst tragen, bei den übrigen liegt die Schwelle mit 25 Prozent etwas höher. Wenn dies die Unternehmen überfordern würde, können die Regierungen die Kostenbeteiligung alternativ auf 0,5 Prozent der Bruttowertschöpfung begrenzen. Dies war eine Forderung, die etwa der DIHK im Sommer erhoben hatte.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) reagierte daher erleichtert. “Die Kommission hat sich bei den endgültigen Beihilfeleitlinien im Vergleich zu Entwurfsfassungen in die richtige Richtung bewegt”, sagte Jörg Rothermel, Abteilungsleiter Energie und Klimaschutz. Besonders zu begrüßen sei, dass Industriegase Beihilfe erhalten könnten. Andernfalls wäre der von der Politik gewünschte Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft “massiv behindert oder sogar unmöglich gemacht” worden, so Rothermel.
Kaum noch möglich sollen Subventionen für fossile Energieträger wie Kohle oder Diesel sein. Für diese “schließt sich die Tür”, sagte Vestager. Erdgas sei ein zeitlich begrenzter Sonderfall, denn es diene “als Brücke”.
Damit die Regierungen Gaskraftwerke weiter fördern können, müssen diese aber einige Kriterien erfüllen. Sie dürfen etwa keine Investitionen in saubere Energieträger ersetzen. Zudem müssen Anlagen auf Wasserstoff umgerüstet werden können oder über die Technologie verfügen, um das anfallende Kohlendioxid abscheiden zu können (CCS/CCU). In ärmeren Mitgliedsländern können Gaskraftwerke auch dann gefördert werden, wenn dafür klimaschädlichere Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Zu Beihilfen für Atomkraftwerke schweigen die Leitlinien hingegen – diese werden laut Vestager im Einzelfall auf Basis der EU-Verträge geprüft.
Zudem dürfen die Mitgliedstaaten etwa mit Flüssigerdgas (LNG) betriebene Schiffe oder Lkw mitsamt Ladeinfrastruktur fördern, weil dort noch keine sauberen Alternativen verfügbar sind. Saubere Mobilität zählt zu den Bereichen, die neu unter die Klima-, Umwelt und Energie-Beihilfeleitlinien fallen. Zudem will die Kommission künftig auch Programme zur Förderung von Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz oder Biodiversität genehmigen.
Darüber hinaus werden neue Instrumente berücksichtigt, wie CO₂-Differenzverträge. Die Kommission erkläre aber nur in einer Fußnote, wie sie sich diese Carbon Contracts for Difference vorstelle, kritisiert Rothermel. “Da hätten wir uns mehr Orientierung gewünscht.”
Um die Kosten für die Steuerzahler zu begrenzen, setzt die Kommission noch stärker als bisher auf wettbewerbliche Ausschreibungen bei der Vergabe. Die Kritik, dies bedeute zusätzlichen Aufwand für Behörden wie Unternehmen, weist Vestager zurück: Es gehe nicht um zusätzliche Bürokratie, sondern um das Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Kommission argumentiert, die Auktionspraxis habe etwa bei den erneuerbaren Energien die Kosten stark gesenkt.
Als weitere Vorkehrung gegen eine übermäßige Förderung setzt die Behörde auf öffentliche Konsultationen: Die Mitgliedstaaten sollen künftig erst andere Marktteilnehmer befragen, bevor sie eine Fördermaßnahme der Kommission zur Genehmigung vorlegen. Experten kritisieren, auch dies bedeute zusätzlichen Aufwand. Die Kommission hält dagegen, die Verpflichtung gelte nur für Projekte mit einem Investitionsvolumen von mehr als 100 Millionen Euro im Jahr und biete zusätzliche Rechtssicherheit. In Kraft treten soll die Maßnahme ab Juli 2023.
Die EU-Kommission hat eine Machbarkeitsstudie für ein zentrales europäisches Vermögensregister vergeben. Der Auftrag, der mit bis zu 400.000 Euro dotiert ist, wurde an drei Unternehmen erteilt, darunter das Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. Dies geht aus einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vom 13. Dezember hervor.
Die Ausschreibung bedeute jedoch nicht, dass die EU-Kommission ein solches Vermögensregister auch tatsächlich einführen wolle, erklärte ein Kommissions-Sprecher. Man folge lediglich einem Wunsch des Europaparlaments. Laut Ausschreibungstext soll untersucht werden, “wie aus verschiedenen Quellen des Vermögenseigentums (zum Beispiel Landregister, Unternehmensregister, Trust- und Stiftungsregister, zentrale Verwahrstellen von Wertpapieren) verfügbare Informationen gesammelt und miteinander verknüpft werden können”.
Geprüft werden soll auch, ob “Daten über das Eigentum an anderen Vermögenswerten wie Kryptowährungen, Kunstwerke, Immobilien und Gold” in das Register aufgenommen werden können. Ziel der Erfassung sei es, die Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu erleichtern. Bei der Veröffentlichung der Ausschreibung im Juli hatte es zahlreiche Nachfragen und Proteste gegeben. Die EU-Kommission wolle “den finanziell gläsernen Bürger” schaffen, empörte sich der CSU-Finanzexperte und Europaabgeordnete Markus Ferber.
Die Aufregung legte sich jedoch, als die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness erklärte, sie halte ein Vermögensregister nicht für nötig. Es sei auch nicht Teil des aktuellen Arbeitsprogramms ihrer Behörde, betonte McGuinness in einem Brief vom 6. September. Dass die Kommission die Vorbereitungen nun dennoch vorantreibt und erste Aufträge vergibt, ärgert Ferber. Es gebe “keinen Grund, knapp 400.000 Euro für eine Studie aufzuwenden, deren Ergebnisse man ohnehin nicht weiterverfolgen will.”
Zustimmung signalisiert dagegen Rasmus Andresen von den Grünen. “Ohne Daten werden wir den Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung nicht gewinnen”, sagte Andresen, der im Haushaltsausschuss des Parlaments mitarbeitet. “Wir Grüne unterstützen deshalb die Einführung eines europäischen Vermögensregisters. Es ist richtig, wenn die EU-Kommission in einem ersten Schritt untersucht, wie wir mehr Steuertransparenz erreichen können.”
Wie es danach weitergeht, ist jedoch völlig offen. Bisher hat die EU im Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung wenig erreicht, wie die zahlreichen Skandale – von LuxLeaks bis FinCEN Files – zeigen. Auch in Deutschland gibt es noch großen Nachholbedarf. ebo
Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) Hoffnung darauf geäußert, dass der Digital Services Act den Anbieter Telegram mit Sitz in Dubai zur Kooperation bewegen könne. Dieser würde in Zukunft helfen. Buschmann folgt zudem der Rechtsauffassung der Vorgängerregierung, dass Telegram mit seinen offenen Kanälen nicht nur ein Over-the-Top-Kommunikationsdienst, sondern mit seinen offenen Kanälen auch eine Plattform im Sinne des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sei.
Er treibe die Telegram-Verfahren nach dem NetzDG weiter voran, so Buschmann. Aber eine europäische Lösung sei wirksamer: “Ein gemeinsames Vorgehen macht auf die Betreiber von Telegram mehr Eindruck, als wenn das jedes Land allein versucht.” Ein solches gemeinsames Vorgehen habe auch im Kampf gegen IS-Propaganda bereits geholfen.
Der Bundesjustizminister setzt auch auf wirtschaftlichen Druck: “Telegram will zudem mit Werbung Geld verdienen. Die Betreiber dürften also ein Interesse daran haben, weiterhin Zugang zum zahlungskräftigen europäischen Markt zu haben.” Allerdings würden Hass und Hetze nicht dadurch beendet, dass Telegram alle Regeln durchsetze. Nutzer würden sich dann andere Plattformen und Wege suchen.
Kritisch äußerte sich Buschmann zur Vorratsdatenspeicherung, zu der ein weiteres Urteil des Europäischen Gerichtshofes noch aussteht. Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem zweiten großen Beschluss, der die Maßnahme in der alten Form für unvereinbar mit dem Europarecht erklärte, kündigte Buschmann an, sie nun endgültig aus dem Gesetz streichen zu wollen. Der neue Bundesjustizminister will stattdessen beim Verdacht schwerer Straftaten auf das Quick-Freeze-Konzept setzen: “Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können.” fst
Der gemeinnützige Verein Digitalcourage hat am Dienstag Klage gegen die seit dem 01.08.2021 geltende Speicherpflicht für Fingerabdrücke im Personalausweis eingereicht und den Instanzenweg eingeschlagen. Die Speicherpflicht basiert auf einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2019.
Ziel der EU-Verordnung ist es, biometrische Merkmale zu nutzen, um den Personalausweis auf seine Echtheit zu überprüfen und die Identität des Inhabers anhand direkt verfügbarer, abgleichbarer Merkmale zu kontrollieren.
Zwar könnten Behörden schlechte Fälschungen mithilfe der gespeicherten Fingerabdrücke im Personalausweis womöglich leichter erkennen, aber sie könnten dadurch eine Fälschung nicht per se ausschließen, so die Argumentation des Vereins. Zudem gebe es weniger invasive Mittel, um das Fälschen von Ausweisdokumenten zu erschweren, etwa komplexere Druckverfahren oder 3D-Hologramme auf dem Dokument.
“Biometrischen Daten sind hochsensible persönliche Informationen. Sie dürfen nicht einfach als Wetteinsatz benutzt werden im Hase-und-Igel-Rennen zwischen Sicherheitsbehörden und professionellen Fälschungswerkstätten”, begründet Vereinsmitglied Julia Witte die Klage. Laut Digitalcourage hätte die Speicherpflicht für Fingerabdrücke schon aufgrund von formellen Fehlern nicht in Kraft treten dürfen. Zudem sei die Pflicht mit den Grundrechten unvereinbar, weil sie unverhältnismäßig, ungeeignet und nicht erforderlich sei.
Digitalcourage schätzt, dass die Speicherpflicht rund 85 Prozent der EU-Einwohner:innen betreffe. Demgegenüber stünden jedoch nur rund 40.000 gefälschte Personalausweise in den Jahren 2013-2017. koj
Der Corona-Impfpass der Europäischen Union soll ohne Booster neun Monate gültig sein. Diese Regelung ist nach Beschluss der EU-Kommission für die 27 Mitgliedsstaaten ab dem 1. Februar verbindlich, wie die Behörde am Dienstag mitteilte. Nach einer Auffrischimpfung werde die Gültigkeit bislang unbegrenzt verlängert, da es noch keine ausreichenden Informationen über die Dauer des Schutzes durch die Booster gebe.
Damit ist die Kommission dem Auftrag der Staats- und Regierungschefs beim vergangenen EU-Gipfel nachgekommen (Europe.Table berichtete), eine verbindliche Regelung für die Gültigkeitsdauer der EU-Impfzertifikate zu treffen. Zuvor waren einige Mitgliedstaaten in der Frage vorgeprescht, wodurch ein unkoordiniertes Vorgehen drohte.
Die Regelung ersetzt eine unverbindliche Empfehlung der Kommission vom November und gilt nur für Reisen in der EU. Bei einer Verschärfung der Lage können die EU-Mitgliedstaaten aber zusätzliche Auflagen wie eine Test- oder Quarantäne-Pflicht verlangen. Die Gültigkeitsdauer des EU-Impfzertifikats für den Zugang zu Veranstaltungen oder Indoor-Aktivitäten können die Mitgliedstaaten selbst festlegen. Ein Veto der EU-Staaten gegen den Beschluss gilt als unwahrscheinlich. koj/rtr
Mitten im Winter hat Russland seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Pipeline Jamal-Europa gestoppt. Nachdem die Lieferung in den vergangenen Tagen bereits stark abgenommen hatte und für kurze Zeit komplett stillstand, wurde das Gas am Dienstag in die entgegengesetzte Richtung gepumpt – von Deutschland nach Polen. Wie der deutsche Netzwerk-Betreiber Gascade erklärte, werde das Gas von der Verdichterstation Mallnow in Brandenburg nach Osten geleitet.
Russland erklärte, die Umkehrung der Gaslieferung sei eine rein kommerzielle Entscheidung und habe nichts mit Politik und den Streitigkeiten um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu tun. Aus Polen hieß es, der russische Gaslieferant Gazprom erfülle seine vertraglichen Verpflichtungen. Die nach Osten gerichteten Lieferungen seien von Polen beauftragt worden. Von Gazprom war zunächst kein Kommentar zu erhalten.
Schon in den vergangenen Monaten kam über die Jamal-Pipeline weniger Gas nach Deutschland als üblich. Anfang November war das Gas schon einmal für ein paar Tage in die entgegengesetzte Richtung gepumpt worden. Die Gaspipeline Jamal-Europa führt von der Jamal-Halbinsel in Sibirien durch Russland, Belarus und Polen nach Deutschland. Sie wurde 1999 fertiggestellt und wird seit Mitte der 2000er Jahre mit einer Kapazität von 33 Milliarden Kubikmeter pro Jahr betrieben. rtr
Die EU-Wettbewerbshüter haben grünes Licht für die Übernahme von Nuance durch den US-Technologiekonzern Microsoft gegeben. Die Aufsicht knüpfte auch keine Bedingungen an die Genehmigung. Eine Prüfung habe ergeben, dass es durch das Vorhaben nicht zu einer deutlichen Einschränkung des Wettbewerbs kommen werde, teilte die Kommission am Dienstag mit.
Microsoft hatte im April angekündigt, den auf den Gesundheitssektor fokussierten KI-Spezialisten für fast 16 Milliarden Dollar kaufen zu wollen. Nuance ist vor allem für seine Technologie zur Spracherkennung bekannt, auf deren Basis unter anderem Apple seinen Sprachassistenten Siri aufgebaut hat.
Mit dem Zukauf will Microsoft sein speziell auf den Gesundheitssektor ausgerichtetes Cloud-Angebot stärken. Nuance hat sich zum Ziel gesetzt, mithilfe von KI-basierter Spracherkennung die medizinische Dokumentation neu zu gestalten und dafür auch eine Cloud-Lösung entwickelt. Ärzte sollen auf diese Art Fälle zeit- und ortsunabhängig erfassen können. Bereits jetzt nutzen laut Microsoft 77 Prozent aller US-Kliniken Software von Nuance. rtr
In den USA schaukelt sich kurz vor der geplanten Einführung von 5G-Mobilfunk der Streit über Risiken für die Flugsicherheit hoch. Die beiden Flugzeughersteller Boeing und Airbus forderten die Regierung auf, die für Anfang Januar geplante Einführung von 5G-Mobilfunk im C-Band-Spektrum von AT&T und Verizon wegen Sicherheitsbedenken zu verschieben. “5G-Interferenzen könnten die Sicherheit des Flugbetriebs beeinträchtigen und enorme negative Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie haben”, heißt es in einem Brief der Unternehmen an das US-Verkehrsministerium, das Reuters vorlag.
Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) untersucht schon länger, ob 5G die in der Luftfahrt genutzten Funkhöhenmesser stören kann. Die 5G-Frequenzbänder in Europa liegen nicht so nah wie das in den USA geplante an dem von Flugzeugen genutzten Frequenzband. Bisher seien in Europa keine Vorfälle bekannt oder aus vorliegenden technischen Daten von Flugzeug- und Ausrüstungsherstellern abzuleiten, erklärte eine EASA-Sprecherin.
Gleichwohl werde die Situation weiter genau beobachtet. Die Behörde tausche sich zudem mit der US-Luftsicherheitsbehörde FAA über deren Bedenken aus. Auch die Deutsche Flugsicherung (DFS) erklärte, bisher sei es nicht zu einer Störung der Bordelektronik gekommen.
Die FAA und US-Airlines hatten sich ebenfalls schon besorgt über mögliche Interferenzen von 5G mit empfindlicher Flugzeugelektronik wie Funkhöhenmessern geäußert. Die Abstandsmessung sorgt für eine sichere Landung. Der Mobilfunkverband CTIA erklärte, 5G sei sicher. Er warf der Luftfahrtindustrie vor, Angst zu schüren und Fakten zu verdrehen.
Zuständig für die Platzierung von Mobilfunkstationen in der Nähe von Flughäfen seien die Mitgliedstaaten in der Europäischen Union, erklärte die EASA. Verschiedene Länder nutzten so wie in den USA geplant das C-Band. Die EASA sei mit den betreffenden Staaten und auch mit dem europäischen Pendant der Bundesnetzagentur CEPT im Gespräch. Die CEPT arbeite an einer Studie zum sicheren parallelen Einsatz von 5G und Funkhöhenmessern. rtr

Über einen Monat nach der Klimakonferenz in Glasgow sind die Spannungen über den Wortlaut des Abkommens über den Kohleausstieg allmählich verflogen. Doch der Klimagipfel wird uns möglicherweise noch aus anderen Gründen im Gedächtnis bleiben. Denn falls in den kommenden Monaten keine raschen Maßnahmen ergriffen werden, könnte COP26 als der Moment in die Geschichte eingehen, an dem der globale Süden aufgegeben hat, den Versprechungen der Industrieländer zur Klimafinanzierung Glauben zu schenken.
In Glasgow wurde deutlich, dass die im Pariser Klimaabkommen gemachte Zusage, die Industrieländer würden bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für eine klimawandelresiliente Entwicklung bereitstellen, von Anfang an völlig unrealistisch war: Der Bedarf an Anpassungsfinanzierung wird vom UN-Umweltprogramm auf das Fünffache des derzeitigen Niveaus geschätzt.
Falls die aus dieser Tatsache resultierende Vertrauenslücke zwischen Entwicklungs- und Industrieländern nicht geschlossen wird, sehen die Aussichten für COP27 in Sharm El Sheikh und weitere Kilmakonferenzen düster aus. Der ohnehin zerbrechliche Konsens im Rahmen des COP-Prozesses könnte sich gar völlig auflösen, wenn die Volkswirtschaften, die sich früher und schneller industrialisiert haben, nicht akzeptieren, dass es ungerecht ist, jene Länder nicht zu unterstützen, die unter den Folgen der uneingeschränkten Nutzung fossiler Brennstoffe in den letzten Jahrzehnten leiden.
Es ist unwahrscheinlich, dass die USA dieses Vertrauen wieder herstellen können. Grund sind die tiefen politischen Gräben mit Blick auf Klimaschutz und Dekarbonisierung sowie der gigantische Umfang von Joe Bidens Gesetzentwurf “Build Back Better”. Da in Brüssel und anderen großen EU-Hauptstädten das Gefühl vorherrscht, dass die Europäer:innen bereits einen weitaus größeren Beitrag zur Klimafinanzierung geleistet haben als ihre transatlantischen Partner, ist es aber leider auch unwahrscheinlich, dass Europa hier die Initiative ergreift.
Dennoch könnte es die EU hinbekommen, die Lage zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu entspannen. Dazu bedarf es jedoch sowohl eines umfassenderen Verständnisses der Bedeutung von Klimaunterstützung als auch einen stärker interessengeleiteten Ansatz.
Entscheidend ist, ein breites Spektrum von kohlenstofffreien Technologien zu schaffen und die entsprechende Infrastruktur schnell zu entwickeln und einzuführen, um den Klimawandel zu verlangsamen. Dies gilt insbesondere für den globalen Süden. Reiche Länder – und vor allem diejenigen, die beim Aufbau von Technologiekapazitäten führend sind – werden den globalen Fortschritt behindern, wenn sie die geistigen Eigentumsrechte an grüner Technologie monopolisieren und zugleich einen CO₂-Grenzausgleich (CBAM) einführen. Eine rasche und wirksame Einführung solcher Technologien auf globaler Ebene würde hingegen die Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels insgesamt stärken und den Ländern, die jene Technologien entwickeln, wirtschaftliche Vorteile bringen.
Die EU sollte sich dafür entscheiden, in führender Rolle und in Partnerschaft mit dem globalen Süden Kapazitäten für grüne Technologien aufzubauen. Dies sollte auch die Übernahme der Entwicklungskosten für einige Technologien beinhalten. Und die EU könnte außerdem dazu beitragen, den grünen Wandel in einer Weise zu beschleunigen, die den eigenen Bedarf deckt und gleichzeitig Industrien für Greentech im globalen Süden aufbaut. Obwohl es einen harten globalen Wettbewerb um umweltfreundliche Technologien gibt, spielen europäische Unternehmen noch immer eine führende Rolle in Bereichen wie Windkraft oder Wasserstoff- und Stromnetztechnologien – einschließlich der Ladetechnik für Elektrofahrzeuge.
Wir sollten aber auch unsere gegenseitige Abhängigkeit anerkennen. Die EU ist sowohl bei Rohstoffen als auch bei Innovationen und Kapazitäten auf Beziehungen zu Drittländern angewiesen. Daher sind Forschung und Entwicklung sowie eine Industriepolitik, die die Entwicklung kohlenstoffarmer Technologien im globalen Süden fördern, ein Gewinn sowohl für die Dekarbonisierung der EU als auch für die Partnerländer und deren wirtschaftliche Entwicklung.
Die kürzlich angekündigte EU-Infrastruktur-Initiative “Global Gateway” ist eine vielversprechende grüne Alternative zu Chinas “Neuer Seidenstraße” – die aber angemessen finanziert werden muss, auch mithilfe des Kapitals der Europäischen Investitionsbank. Die EU sollte stärker in Ko-Innovationsprogramme investieren und sicherstellen, dass grüne Technologien, die mit öffentlicher Unterstützung entwickelt wurden, auch denjenigen zur Verfügung stehen, die nicht über das geistige Eigentum verfügen.
Zu diesem Zweck könnte die EU einen “Fonds für Ko-Innovation und Verbreitung grüner Technologien” einrichten, der zum Teil aus dem Programm “Globales Europa” und zum Teil aus den Einnahmen des EU-Emissionshandelssystems und dem CBAM finanziert wird. Ein weiterer Schwerpunkt der Bemühungen sollte die Mobilisierung privater Investitionen in diesem Bereich sein. Die EU sollte sich auch bemühen, den Stillstand bei den multilateralen Verhandlungen über den Transfer grüner Technologien zu überwinden, indem sie innerhalb der WTO einen konstruktiveren Ansatz in Bezug auf die Rechte an geistigem Eigentum verfolgt.
Neue Green-Tech-Partnerschaften können die Klimafinanzierung nicht ersetzen, doch können sie dazu beitragen, guten Willen zu zeigen und die in Glasgow verlorenen gegangene Glaubwürdigkeit der Industrieländer bei den Klimaverhandlungen mit dem globalen Süden wiederherzustellen. Da Europa dadurch auch seine eigene Dekarbonisierung fördert und es europäischen Unternehmen ermöglicht, wettbewerbsfähig zu bleiben, während sich ihre Abhängigkeiten verlagern, scheint dies eine sinnvolle Strategie zu sein.