Veröffentlicht: 06.02.2025,
Letzte Aktualisierung: 18.03.2025

Von Veronika Grimm
Drei Jahre nach Ausrufen der Zeitenwende diskutieren wir immer noch über Handlungsbedarfe und schreiben Papiere zu Sicherheit und Verteidigung. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro hebt die Verteidigungsausgaben zwar bis 2027 auf rund zwei Prozent des BIP – doch damit ist es nicht getan.
Schon jetzt steigt der Druck, mehr auszugeben. In Nato-Kreisen sind drei oder 3,5 Prozent als Zielmarke im Gespräch, und Trump hat sogar fünf Prozent ins Spiel gebracht. Die Landesverteidigung muss dauerhaft aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Für die öffentlichen Haushalte ist das eine Herausforderung.
Es müssen finanzielle Spielräume geschaffen werden, vor allem durch Priorisierung. Denn viele europäische Staaten haben nach den Krisen der letzten Jahre und angesichts schwacher Wachstumsaussichten nur begrenzten Verschuldungsspielraum. Große Volkswirtschaften wie Frankreich, Italien oder Spanien bewegen sich bereits an der Grenze ihrer Tragfähigkeit. Höhere Schulden könnten Europa wirtschaftlich verletzlicher und damit auch geopolitisch angreifbarer machen. Es gilt also „Guns versus Butter“ – Verteidigungsausgaben müssen gegen andere staatliche Prioritäten abgewogen werden.
Die Europäer müssen nicht nur mehr Mittel für Verteidigung mobilisieren, sondern diese auch effizient in militärische Schlagkraft übersetzen. Eine engere Kooperation innerhalb der EU könnte die Vielfalt der Waffensysteme reduzieren und die Interoperabilität verbessern. Besonders im Bereich Hochtechnologie – etwa bei Drohnen, künstlicher Intelligenz, Raumfahrt und Materialwissenschaften – muss Europa wettbewerbsfähig bleiben. Während Frankreich mit seinen Atomwaffen eine Schlüsselrolle spielt, bleibt Deutschland in der nuklearen Teilhabe eingebunden. Angesichts geopolitischer Unsicherheiten und der fragilen transatlantischen Beziehungen ist es unabdingbar, Europas militärische und wirtschaftliche Stärke zu sichern.
Hier könnte auch eine Chance liegen. Zusätzliche Verteidigungsausgaben könnten gezielt für Innovationen genutzt werden und so auch Wachstumsimpulse setzen – allerdings ist Deutschland schlecht darauf vorbereitet. Die Rüstungsindustrie gilt nicht als „nachhaltige Investition“, was Investitionen erschwert. Viele Universitäten haben sich in der Vergangenheit aus ethischen Gründen von militärischer Forschung distanziert, was den Zugang zu Technologien verkompliziert. Die Dual-Use-Problematik (zivile und militärische Nutzung) sorgt zudem immer wieder für politische und gesellschaftliche Kontroversen. Es ist außerdem nicht damit getan, nur bei der Forschung ganz vorne dabei zu sein – Technologien müssen auch angewendet und exportiert werden, um überhaupt in Europa wirtschaftlich produzieren zu können.
Besonders polarisiert dürfte die Debatte um Atomforschung verlaufen. Kann sich Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft diesem Thema völlig entziehen – gerade wenn Donald Trump erneut mit dem Entzug des nuklearen Schutzschirms droht? Eine klare Positionierung wird unumgänglich sein.
Die größte Herausforderung in Bezug auf Wehrhaftigkeit liegt jedoch woanders: Wer verteidigt uns oder unsere Bündnispartner im Ernstfall? Und ist die Bevölkerung mental darauf vorbereitet? Während der Verteidigungsfall in Ländern wie Finnland oder den baltischen Staaten Teil des Alltagsbewusstseins ist, spielt er in Deutschland kaum eine Rolle. Die Debatte über eine verpflichtende Musterung oder eine Dienstpflicht, die auch den Militärdienst als Option umfassen könnte, kommt nur schleppend voran.
Es wäre wichtig, hier schnell einen Plan zu haben. Russland gibt aktuell etwa 30-40 Prozent seines Haushalts für Militär und Sicherheit aus. Neben der Versorgung der Front werden auch Vorräte aufgebaut. Militärische Einschätzungen sind klar: Bis Ende des Jahrzehnts muss Europa verteidigungsfähig sein. Eine existenzielle Herausforderung für die nächste Bundesregierung – denn ein unvorbereitetes Europa wäre eine leichte Zielscheibe, und mangelnde Abschreckung erhöht das Risiko eines Angriffs.
Dr. Veronika Grimm ist seit April 2020 Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft. Sie ist Professorin an der Technischen Universität Nürnberg (UTN) und Leiterin des Energy Systems and Market Design Lab.